…in Solidarität mit der in Pankow inhaftierten Aktivistin Gülaferit Ünsal. Gegen Knastindustrie, Zwangsanstalten und die Auslieferung linker Gefangener.
Am 31. Detember 2014 fanden in Berlin wieder die alljährlichen Silvesterknast-Demos statt.
Dass neben der traditionelle Demonstration zur JVA-Moabit seit einigen Jahren von meheren Demos gesprochen werden kann, ist den Organisator*innen der Silvester-Demo zu verdanken, die seit 2010 den Fokus der Demo auch auf andere Berliner Gefängnisanstalten ausgeweitet haben. So fanden in den Jahren 2010 und 2011, bis zur angekündigten Schließung des Abschiebeknastes Grünau am Silvesternachmittag immer Aktionen vor dem Köpenicker Knastkomplex statt. In den Folgejahren führte die Nachmittagsdemonstration zur Frauen-JVA in Berlin-Lichtenberg [2012 | 2013].
Insbesondere wurde auf die Situation der inhaftierten linken Aktivstin Gülaferit Ünsal aufmerksam gemacht, die seit 2011 unter dem Vorwurf einsitzt, die Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front (DHKP/C) in Deutscland und der Türkei unterstützt zu haben. Die politische Handhabe hierfür liefert der Paragraph 129b, der die sVerfolgung von im Ausland aktiven Organisationen in Deutschland legitimiert. In Berliner Knästen saß sie seit rund drei Jahren in Isolationshaft. Im Mai 2013 wurde sie zu 6,5 Jahren Haft verurteilt. Nach der Ablehung ihres Revisionsantrages wurde Gülaferit im September in den Frauenknast-Pankow verlegt.
Das Netzwerk Political Prisoners schreibt dazu: „Nun ist zwar ihre Isolation offiziell aufgehoben, doch ist sie weiterhin Druck und Gewalt ausgesetzt. Durch Besuche und Briefe ist bekannt geworden, dass sie massiv von mitgefangenen Frauen, auch unter Aufsicht und Toleranz der Schließer, gemobbt wird. (…) Mehr als drei Jahre Einzelzelle, keinen Kontakt zu Mitgefangenen, Postzensur und Überwachung der Besuche. Hinzu kommt die soziale Isolation, da sie die deutsche Sprache nicht beherrscht. Mit der Verlegung in den Strafvollzug nach Berlin-Pankow konnte sie nun das erste Mal wieder nach draußen telefonieren, Kontakt mit ihrer Familie aufnehmen. Eigenen Angaben zufolge hat sie zwar nun die Isolation hinter sich, steht aber vor weiteren Problemen. Viele Frauen haben starke Suchtprobleme und sind krank. Einige sind wegen Mord verurteilt, politische Diskussionen innerhalb des Knastes sind sehr schwer zu führen“
In der Pankower Frauen-JVA kam es anders als in vorherigen Gefängnissen, in denen sie inhaftiert war, zu Mobbing und Ausgrenzungsveruschen seitens anderen Mitgefangenen. Die Gefangengewerkschaft, wie auch die Linkspartei-Abgeordnete Ulla Jelpke forderten bereits Anfang Dezember ein Ende der Schikanen gegen Gülaferit Ünsal und eine Stellgnahme seitens der Veranwtortlichen.
Der Hauptschwerpunkt der Redebeiträge der Nachmittags-Knastdemo lag demzufolge auf der Haftbedingungen und der Situation von Gülaferit. So wurde ein Redebeitrag zum Thema, so wie ein Brief von Gülaferit auf türkisch und deutsch verlesen. Der Frontblock der Demo rief auf türkisch die Parole „Freiheit für alle revolutionären Gefangenen!“, auch sonst war die Stimmung vor dem Frauenkanst kämpferisch und laut.
Gegen Knastindustrie und Auslieferung revolutionärer Gefangener
Auf dem Weg über Bornholmer Straße, über die Berliner Straße, bis zur Zwischenkundgebung in der Arkona Straße, wurden mehrere Redebeiträge gehalten, die unter anderem die deutsche Knastindustrie (nach US-Vorbild) kritisierten und sich gegen die Auslieferung von Bernhard Heidbreder und Tomas Elgorriaga Kunze aussprachen.
Bernhard Heidbreder wird seit meheren Jahren durch die deutschen Behörden per Haftbefehl gesucht. Vorgeworfen wird ihm die Mitgliedschaft in der linken militanten Gruppe K.O.M.I.T.E.E. und der vom K.O.M.I.T.E.E. versuchte Anschlag gegen das Grünauer Abschiebegefängnis 1995. [Doku-Broschüre zum Anschlag | Erklärung des K.O.M.I.T.E.E.] Anfang Juli 2014 wurde Bernhard von venezuelanischen Sicherheitskräften festgenommen und sitzt seitdem in Caracas in Polizeihaft. Die Forderung nach Nichtauslieferung an den deutschen Staat wird derzeit durch die Kampagne „Dageblieben“ getragen und erfährt Unterstützung durch Aktivist*innen der sozialistischen Basisbewegungen in Venezuela.
Tomas Elgorriaga Kunze war in der baskischen Unabhängigkeitsbewegung aktiv. Im Frühjahr 1998 verhaftete ihn die spanische Polizei zusammen mit weiteren Personen, angeblich wegen Unterstützung der ETA – ein Vorwrf, der inflationäre gegen zahlreiche politische Aktivist*innen im Baskenland Anwendung findet. Zwei Jahre nach seiner Verhaftung gelingt ihm kurz vor Prozessbeginn die Flucht, womit sich Tomas einer langjährigen Haftstrafe entziehen kann. Tomas wurde später in Frankreich wegen angeblicher ETA-Mitgliedschaft in Abwesenheit verurteilt. Am 31. Oktober 2014 wurde er nun in Mannheim festgesetzt. Auch ihm droht die Auslieferung an Spanien oder Frankreich
Politische Gefangene im Frauenknast Pankow
Die letzten bekannteren Fälle inhaftierter linker Frauen in der Pankower JVA waren die der Antifaschistinnen Alexandra R. und Andrea N..
Alexandra wurde im Mai 2009 unter dem Vorwurf der KFZ-Brandstiftung festgenommen [Kundgebungsbericht | Interview zur Haftsituation]. Es folgte ein zwei Jahre andauernder Prozess.
Andrea war in der „JVA für Frauen – Standort Pankow“ für 14 Monate einsperrt. Eingesperrt wurde sie wegen ihrer Beteiligung an verschiedenen Aktionen gegen Neonaziaufmärsche und rassistische Asylpolitik im Bundesgebiet und Berlin. Rund 2000 Menschen beteiligten sich am 8. März 2008 an der Soli-Demo für Andrea [Bilder | Videos 1, 2]. Im Aufruf zur Demo hierß es „Durch Sozialisation und Erziehung kümmern sich die meisten Frauen oft mehr um andere Menschen, bekommen dies aber nicht im gleichen Maße zurück. Im Knast sind die Folgen dessen besonders fatal. Frauen erhalten wesentlich weniger Rückhalt und Unterstützung von draußen als männliche Gefangene. Viele Frauen haben beispielsweise durch Ehe(ähnliche)verhältnisse sowie die Doppelbelastung als Mutter und Erwerbstätige nicht immer die Möglichkeit und die Zeit, ein
aktives Umfeld über lange Zeit aufrecht zu erhalten. Dies verschärft die persönliche Isolation der inhaftierten Frauen nur noch mehr. In besonderer Weise trifft dies die vielen migrantischen Gefangenen in der Pankower Frauen-JVA. Sie müssen meist ohne die Unterstützung eines Lebenspartners oder ihrer Familie auskommen, da sich ihre Familien meist noch in ihren Herkunftsländern befinden. Für viele dieser Frauen ist die Inhaftierung im Frauenknast einer der ersten Schritte vor der Verlegung in die Abschiebehaft und somit direkter Bestandteil rassistischer Asylpolitik.“ Genannte Gründe waren auch bei weiteren Aktionen am Frauenknast Pankow Thema, zuletzt im Jahr 2011.
Es bleibt zu hoffen, dass die von Gülaferit geschilderten Zustände innerhalb der Häftlingsbelegschaft, zur notwendigen Öffentlichkeit und zu weiteren Aktionen, wie der kämpferischen Demonstrationen am 31. Dezember führen. Eine stärkere Beteiligung an den Nachmittagsdemos bleibt für die kommenden Jahre zu hoffen, hängt letzten Endes aber weniger vom Vorbereitungskreis, sondern von den Gewohnheiter der Berliner Demogänger*innen ab. Dank an dieser Stelle an die Organisator*innen für die Vorbereitung und Durchführung der Demonstration. Es ist als positiv zu werten, dass die traditionelle Knastdemo in Moabit seit den letzten Jahren durch die Nachmittagsaktion auch andere Knäste und Zwangsanstalten im Berliner Raum miteinbezieht.
Bericht:
North-East Antifascists [NEA], Berlin, 06. Januar 2015
www.antifa-nordost.org
Checkt:
www.political-prisoners.net
silvesterzumknast.nostate.net
Schreibt Gülaferit (auf türkisch):
Gülaferit Ünsal
JVA für Frauen
Arkonastr. 56
13189 Berlin
Berichte zur Knastdemo in Moabit:
– Bericht: Berlin: zweimal an Silvester zum Knast (ABC Berlin)
– Video: Silvester zum Knast / 31.12.2014 – 01.01.2014 (Ömersam)