Vernetzungstreffen
Internationale Solidarität
Vor Aufmärschen von Neonazis in Ungarn und Bulgarien tauschten sich Antifaschisten auf Konferenz in Berlin aus
Von Anna Sitrap*
Am kommenden Samstag versammeln sich wieder Faschisten aus ganz Europa zum sogenannten Tag der Ehre in Budapest. In der ungarischen Hauptstadt können sich Neonazis offen als solche zu erkennen geben, da ihnen für das Zeigen von faschistischen Symbolen und Gesten keine Repression droht. Offiziell soll, wie in den vergangenen Jahren, an Faschisten erinnert werden, die am 11. Februar 1945 »ehrenhaft« versucht hatten, aus dem von ihnen damals seit einem Jahr besetzten Budapester Schloss zu entkommen. Angesichts der vorrückenden Roten Armee ignorierten die Angehörigen von Wehrmacht, Waffen-SS und kollaborierenden ungarischen Kampfverbänden den direkten Befehl zum Ausharren in der Burg. Praktisch niemand von ihnen überlebte den Ausbruchversuch.
Zur nationalistischen Legendenbildung eignete sich diese militärische Niederlage kaum. Und so wird seit dem ersten »Gedenken« 1997 daran gearbeitet, den Vorfall als Akt zur Verteidigung Europas vor den vorrückenden Kommunisten umzudeuten. Hierbei überdecken sich Ziele der ungarischen Regierung unter Ministerpräsident Victor Orban und der neonazistischen Netzwerke in Ungarn so weit, dass die Faschisten beklagen, kaum noch politischen Raum rechts von der öffentlichen Mehrheitsmeinung zu haben. Es wird statt dessen aber immer wieder deutlich, wie Neonazis und Staat äußerst effektiv zusammenarbeiten können.
Anfang Februar finden in Budapest jährlich zwei Veranstaltungen der Neonazis statt: Zum einen eine Kundgebung, die mal in der Burg selbst, mal aufgrund eines Verbots an anderer Stelle unbehelligt stattfinden kann. Und zum anderen ein verharmlosend »Nachtwanderung« genannter Aufzug, der sich als unpolitischer Ausflug präsentiert und so erfolgreich die Brücke ins bürgerlich-konservative Lager schlägt. Um welche Art Veranstaltung es sich tatsächlich handelt, ist offensichtlich. Zu sehen sind Hakenkreuzfahnen, militärhistorische Fahrzeuge und Personen in Uniformen der Wehrmacht, der ungarischen Armee und der Waffen-SS. Medial gibt es kaum kritische Stimmen, die Opposition distanziert sich nicht spürbar und der Widerstand auf der Straße wird von der Polizei eingekreist.
Zwei Wochen später, am 22. Februar, soll außerdem in Sofia wieder der sogenannte Lukov-Marsch stattfinden. Dieser ist benannt nach General Christo Lukov, in den 1930er Jahren bulgarischer Kriegsminister und Leiter des »Bundes der bulgarischen nationalen Legionen«. Lukov befürwortete die Verfolgung und Deportation von bulgarischen Jüdinnen und Juden. Und er war ein früher Unterstützer von Adolf Hitler. Am 13. Februar 1943 schließlich wurde Lukov vor seinem Wohnhaus von den Partisanen Ivan Burudshiev und Violeta Jakova hingerichtet.
Seit 2003 nun ziehen bis zu 2.000 Faschisten und Nationalisten mit Fackeln durch die Innenstadt Sofias an eben jenen Ort, wo Lukovs Leben endete. Dieser Aufzug ist für Neonazis besonders attraktiv, da wie in Ungarn aufgrund der Rechtslage in Bulgarien faschistische Symbole und Gesten offen gezeigt werden können. Vor allem aber können sich dort Rechte aus unterschiedlichen europäischen Ländern – wie aus der Bundesrepublik – austauschen und ihre Netzwerke pflegen.
Um dieser zur Schau gestellten Verherrlichung des Faschismus in Europa international entgegentreten zu können, ist die Vernetzung antifaschistischer Gruppierungen dringend erforderlich. Als erster Schritt, um sich über die bestehenden Proteste auszutauschen, diente daher eine Konferenz in Berlin am 18. Januar. Sie trug den Titel »Sprete Fashizma – Faschismus stoppen«. Organisiert wurde sie von den Gruppen »Postkom«, »North East Antifa« (NEA) und »Antifa Westberlin« in Kooperation mit dem Berliner Landesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Etwa 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich Mitte Januar Zeit genommen, um in den Berliner Mehringhöfen mit Antifaschisten aus Bulgarien und der Gruppe »Autonomia Hungary« über die geschichtsrevisionistischen Aufmärsche in Budapest und Sofia ins Gespräch zu kommen. Perspektivisch ist das gemeinsame Ziel, den Austausch zu Organisierung, Strategie und Taktik von Gegendemonstrationen anzuregen und sich vor Ort aktiv zu unterstützen.
So berichteten Aktive aus Sofia auf der Konferenz von ihren Protesten gegen den Lukov-Marsch, die in den vergangenen Jahren sukzessive gewachsen sind und an denen sich 2019 rund 300 Menschen beteiligten. Ihnen zufolge sieht sich der Widerstand mit antikommunistischen Reflexen in der Bevölkerung sowie staatlichen Behörden konfrontiert. Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Ungarn wiederum wussten zu berichten, wie wirkmächtig die Erfindung des »Tages der Ehre« und die damit verbundene Revision ungarischer Verstrickungen in den Hitlerfaschismus ist. Dies zeige sich in den Reaktionen auf antifaschistischen Protest, denen zufolge Faschismus seit 1945 ein Relikt der Vergangenheit und aktueller Antifaschismus daher sinnlos sei.
Auf diese gesellschaftliche Marginalisierung linker Positionen aufbauend sind rechte Parteien derzeit auf dem Vormarsch. Mit Verweis auf mehr unabhängige und linksradikale Medien, den Ausbau soziokultureller Zentren sowie die von dem australischen Antifaschisten Jock Palfreeman – er war elf Jahre in Bulgarien inhaftiert – gegründete Gefangenengewerkschaft »Bulgarian Prisoners Association« formulierten die Gäste aus Sofia einen positiven Ausblick. Sie gaben damit einer antifaschistischen Linken und fortschrittlichen Kämpfen in Bulgarien Hoffnung.
Beide Aufmärsche in Budapest und in Sofia haben Auswirkungen bis nach Deutschland. Über die Jahre hat sich eine enge Vernetzung neonazistischer Gruppierungen über die Landesgrenzen hinaus entwickeln können. In Sofia sind jährlich Anhänger der faschistischen Kleinstparteien »Die Rechte« und »Der III. Weg« am Aufmarsch beteiligt, die dort ungehemmt ihre Propaganda verbreiten können.
Die Autorin (* Pseudonym) war Mitglied im Veranstaltungsbündnis der Konferenz »Sprete Fashizma – Faschismus stoppen« am 18. Januar in Berlin-Kreuzberg
Aus: Ausgabe vom 05.02.2020, Seite 15 / Antifa
Quelle: www.jungewelt.de/artikel/372000.vernetzungstreffen-internationale-solidarität.html