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Medien-Übersicht – HSH: Kundgebung gegen die „Extremismus“-Diskussion im Stasiknast

Hohenschönhausen: Kundgebung gegen die „Extremismus“-Diskussion im Stasiknast

Am 05.07.2018 beteiligten sich ca. 30 Leute an einer Kundgebung gegen die „Extremismus“-Diskussion im Stasiknast in Hohenschönhausen. Ein Bericht wird hier in kürze veröffentlicht. Bis dahin dokumentieren wir an dieser Stelle einige Fotos von der Kundgebung und eine kleine Presse-Übersicht.

Presse:
Extrem erwartbare Debatte (taz / 05.07.2018)
Uferlose Nachwehen (taz / 05.07.2018)
Im Reich der extremen Mitte (Neues Deutschland / 06.07.2018)
Reinwaschung der »Mitte« (Neues Deutschland / 06.07.2018)
Demonstrieren, nicht diskutieren (taz / 06.07.2018)
Gewaltmonopolisten (Junge Welt / 07.07.2018)

Ankündigung: Kundgebung: Die extreme »Mitte« stören! – Solidarität mit den NoG20-Gefangenen!

Fotos:

 


 

Presse:

Spritzig: Die Polizei zeigt bei G 20, was sie eingepackt hat. Foto: dpa

Linksextremismus in Stasi-Gedenkstätte
Extrem erwartbare Debatte
Konservative Herren diskutieren in der Stasi-Gedenkstätte über Linksextremismus. Anlass: der Jahrestag der G20-Krawalle.

Öffentlich über politischen Extremismus zu diskutieren ist eine heikle Sache. Gut, wenn man da im Vorhinein weiß, wie die Debatte ablaufen und vor allem, was deren Ergebnis sein wird. „Linksextremismus – eine unterschätzte Gefahr?“ lautet der Titel einer Podiumsdiskussion am Donnerstagabend in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen. Offizieller Anlass ist der erste Jahrestag der Krawalle in Hamburg beim G20-Gipfel. Ein Blick auf die Besetzung der Runde verrät, was deren Fazit sein dürfte: „Ja, natürlich.“

Denn dort sitzen laut Ankündigung der Gedenkstätte sechs Männer. Und kaum einer in dieser Herrenrunde gilt als Experte für Linksextremismus, viele sind eher für rechte Positionen bekannt. Dabei sind Stephan Mayer, CSU-Staatssekretär im Bundesinnenministerium, und der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt, der mehrfach wegen seiner inhaltlichen Nähe zu Pegida und AfD in die Kritik geraten ist.

Zudem sitzen da der Geschäftsführer der Drogeriekette Budnikowsky, deren Filiale während der Proteste geplündert wurde und der als „Opfer der Gewalt“ angekündigt wird, sowie Niels Sahling, der Bundesjugendvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei. Der Berliner SPD-Abgeordnete Tom Schreiber muss in diesem Kreis fast schon als der Linksradikale gelten, obwohl er für die linke Szene Berlins wegen seiner Positionen ein Feindbild ist.

Tatsächlich verspricht Schreiber, er werde am Donnerstagabend ein differenziertes Bild der Szene zeichnen: „Nicht jeder Linker ist linksextrem, das werde ich deutlich machen“, sagte er am Mittwoch der taz. Er sei gespannt auf die Debatte, auch wenn er mit der Besetzung nicht ganz glücklich scheint. Immerhin werde überhaupt mal über die Thematik diskutiert, so Schreiber, und vielleicht ergebe sich daraus eine Fortsetzung, in der die Runde dann „anders gemischt“ sein werde.

Die Gedenkstätte im einstigen Stasi-Gefängnis legt seit 2011 einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf „Linksextremismus in Geschichte und Gegenwart“, sagt deren Pressereferent André Kockisch. Jugendlichen ab 16 Jahren werden kostenlose Seminare angeboten: „Antifa heißt Angriff“ – mit Gewalt gegen Rechtsextremismus?“, oder „Die Linke – eine extremistische Partei?“ Finanziell unterstützt wird das Programm vom Bundesministerium für Familie und Jugend. Man wolle so „Verständnis für die Demokratie wecken“, sagt Kockisch.

In diesem Rahmen findet auch die Diskussion am Donnerstag statt. Dort zu Beginn wird ein gut sechsminütiger 360-Grad-Film über die Hamburger Krawalle gezeigt, der künftig in Seminaren genutzt werden soll, so Kokisch. Man habe zum G20-Gipfel mit Ausschreitungen gerechnet, sagt Kokisch, und daraufhin die aufwendige Technik eingesetzt.

Der Pressereferent verteidigt die Besetzung der Diskussion: „Wir reden nicht mit Linksextremisten, sondern über sie“, sagt Kokisch. Auf die Idee, zumindest einen anerkannten Experten für das Thema einzuladen, ist man bei der Gedenkstätte indes nicht gekommen. Dabei gibt es Bewegungsforscher und auch linke Politiker sogar vor Ort in Berlin in durchaus relevanter Zahl. Dennoch betont der Sprecher der Gedenkstätte: „Wir lassen uns nicht politisch instrumentalisieren; wir sind politisch neutral.“

Daran zweifelt aber nicht nur die Antifa Nord-Ost, die zu einem Gegenprotest um 18 Uhr aufruft. Titel: „Die extreme ‚Mitte‘ stören. Solidarität mit den NoG20-Gefangenen!“ Laut Polizei werden dazu 50 Menschen erwartet.

Die Antifa ruft zum Gegenprotest: „Die extreme ‚Mitte‘ stören“

Zudem war die Stasi-Gedenkstätte in letzter Zeit mehrfach in die Schlagzeilen geraten, weil Mitarbeiter und Unterstützer hart rechte Positionen vertreten hatten. Ende Mai distanzierte sie sich von dem ehemaligen politischen Gefangenen Siegmar Faust. Grund waren AfD-nahe und den Holocaust relativierende Äußerungen von Faust. Gedenkstättenchef Hubertus Knabe kündigte an, Faust nicht mehr mit Führungen zu betrauen.

Der bisherige Vorsitzende des Fördervereins der Gedenkstätte, Jörg Kürschner, muss sich nach ähnlicher Kritik von seinem Posten zurückziehen. Er werde bei der nächsten Wahl des Vorstands nicht erneut für den Posten kandidieren, erklärte er Mitte Juni laut Berliner Zeitung. Kürschner schreibt seit einiger Zeit AfD-nahe Texte für die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit. Für Außenstehende sei nicht immer erkennbar, „dass der Verein nur eine private Vereinigung ist, die unabhängig von der Gedenkstätte agiert“, hatte Knabe dazu gesagt. Deshalb würden die internen Auseinandersetzungen auch der Stiftung der Gedenkstätte schaden.

Diskussion und Protest

Die Veranstaltung „Linksextremismus – eine unterschätzte Gefahr?“ Donnerstag, 19 Uhr, Gedenkstätte Hohenschönhausen, Genslerstr. 66. Nur nach Anmeldung per Mail an veranstaltungen@stiftung-hsh.de. Platz ist für etwa 80 Besucher.

Die Kundgebung „Die extreme ‚Mitte‘ stören! – Solidarität mit den NoG20-Gefangenen!“ 18 Uhr, vor der Gedenkstätte Hohenschönhausen. (taz)

Quelle: www.taz.de/!5515782/

 


 

Bild: dpa

Bewegungs-Kolumne 05.07.2018
Uferlose Nachwehen
Linke, Gewalt und Gefahr – Themen, die die Aufarbeitung der G20-Ereignisse nur unzuriechend erschöpfen.

von TORBEN BECKER

Mit etwas Zeit und Abstand lassen sich gewisse Dinge besser beurteilen, so zumindest die Annahme. Doch mit Hinblick auf die Ereignisse rund um den G20-Gipfel 2017 in Hamburg scheint das nicht zuzutreffen. Nach wie vor verstricken sich öffentliche Debatten in sicherheitspolitischen Dogmen, politische Initiativen und Randale werden in einem Atemzug genannt und Blindflecke in Sachen staatlicher Repressionen und Polizeigewalt nur nachlässig aufgearbeitet. Gleichzeitig gab der G20-Gipfel, wie der Dokumentarfilm „Hamburger Gitter“ zeigt, Ausblicke auf die moderne Polizeiarbeit. Doch nicht nur wie bereits in Bayern, sondern auch in Nordrhein-Westfalen demonstrieren aktuell Menschen gegen die Erlassung neuer verschärfter Polizeigesetze.

Das Ventil der Spannungsverhältnisse der G20-Protesten steht also weiterhin unter Druck. In der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, die in die Schlagzeilen geraten ist, weil ihr Förderverein mit der AfD geklüngelt hat, diskutiert heute ein ausschließlich weißes Männerpodium unter dem plumpen Titel „Linksextremismus – eine unterschätzte Gefahr“ vermeintliche Gegenstrategien zu Gewaltexzessen. Es ist zweifelhaft, ob mit dieser Perspektive gesellschaftliche Gesamtzusammenhänge aufgearbeitet werden können. Anmeldung unter: veranstaltungen@stiftung-hsh.de • 5. 7., Genslerstraße 66, 19 Uhr

Doch die Deutungshoheit darüber, wie (politische) Gewalt definiert wird, bleibt umkämpft. Die Gruppe Antifa Nordost kritisiert die Inbezugsetzung von Linksextremismus, Gefahr und Gewalt. In ihrem Aufruf argumentiert die Gruppe, dass die Sicht der oben genannten Podiumsdiskussion eine verkürzte sei und wie in den letzten Monaten die Einsetzung weiterer Repressionen gegen Aktivist*innen begünstige. Deswegen ruft die Gruppe auf, draußen ein Gegengewicht zu bilden. Mit einer Kundgebung vor der Gedenkstätte wird während der Veranstaltung gegen Repressionen und für mehr Solidarität mit den Betroffenen protestiert • 5. 7., Genslerstr. 66, 18 Uhr

Auch der Paragraf 129 im Strafgesetzbuch (StGB), der eine Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung anzeigt, findet samt seiner Unterpunkte zunehmend Anwendung. Aus der Sichtweise vieler Betroffener dient dieser dazu, Widerstand zu zerschlagen und staatliche Repressionen wirksamer zu machen. Vermehrt kreist dieses Damoklesschwert in Deutschland auch über türkischen und kurdischen Linken. Gegen solche Einschränkungen wird am Samstag vor dem Rathaus Neukölln mit einer Kundgebung unter dem Motto „Widerstand ist kein Terrorismus“ demonstriert • 7. 7., Karl-Marx-Straße 83, 15 Uhr

Quelle: www.taz.de/!166811/

 


 

Bei Extremismus-Forschern beliebt: die Hufeisen-Theorie Foto: dpa/Nicolas Armer

Im Reich der extremen Mitte
In Berlin diskutierten Polizisten, Forscher und Politiker über G20
Von Niklas Franzen 06.07.2018, 14:47 Uhr Lesedauer: 5 Min.

Die Einlasskontrollen sind restriktiv: Rein kommt nur, wer auf der Liste steht. Zwei Muskelpakete durchsuchen alle Taschen. Vor der Tür wacht Polizei, auch drinnen läuft eine Gruppe von Zivilpolizisten – ganz unauffällig – herum. Den verantwortlichen Hemdträgern ist die Anspannung anzusehen. Denn draußen stehen diejenigen, um die es heute gehen soll: »die Antifa«.

Die Gedenkstätte Hohenschönhausen hat zu einer Veranstaltung geladen, der Titel: »Linksextremismus – eine unterschätzte Gefahr?«. Die Crème de la Crème der bürgerlichen Mitte will ein Jahr nach G20 darüber diskutieren, wie passieren konnte, was passierte und wie es nie wieder passiert.

Die Kulisse: das ehemalige Stasi-Gefängnis in Ost-Berlin. Die Veranstaltung beginnt mit einem Zuckerstück: Die Besucher werden in einen Raum geführt und bekommen VR-Brillen vors Gesicht geschnallt. Ein sechsminütiger Film zeigt brennende Barrikaden, Wasserwerfer und rennende Hundertschaften. In 360 Grad kann man nochmal beim G20-Gipfel dabei sein: Es ist die Zukunft des Riot-Porns – (fast) zum Anfassen. Gegen die Krawall-Bilder geschnitten: Interviews mit einem Polizisten und einem »Ex-Autonomen«. Dass dieser auf jeden Fall mal ein echter Linker war, zeigt sich an den Demo-Postern und Baskenland-Schals an der Wand sowie der sicheren Verwendung von szenetypischen Begriffen wie »Wawe« (Wasserwerfer).

Als alle einmal gucken durften, geht die Veranstaltung dort los, »wo in der klassenlosen Gesellschaft der Mercedes des Chefs« gestanden habe, wie Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe erklärt. Vor der Veranstaltung wäre er bei der »Antifa« gewesen und habe über Kapitalismus diskutiert. Mit viel Pathos schlägt er in seinem Vorwort die Brücke vom DDR-Staat zum heutigen linken Aktivismus. Am Ende wird er dann aber doch noch versöhnlich: »Ich hoffe, dass wir nach der Veranstaltung bei einem Glas Wein mit den Vertretern der Jungen Welt und AfD feststellen werden, dass wir alle Menschen sind, die friedlich miteinander auskommen müssen.«

Die Diskussion wird moderiert von dem Journalisten Helmuth Frauendorfer, der mit Suggestivfragen wie »Warum ist die zum Schutz der Bevölkerung notwendige Polizeigewalt so negativ konnotiert?« glänzt. Den sympatischen, jungen Polizisten von nebenan spielt Niels Sahling – und wirkt dabei fast sympathisch. Er sei unter anderem wegen Jan Fedder Polizist geworden, dem Hamburger Raubein aus der TV-Serie »Großstadtrevier«. Sahling war auch beim G20-Gipfel im Einsatz. Als gebürtiger Hamburger habe ihm das Herz geblutet, als er die Bilder von den Ausschreitungen in der Schanze gesehen habe: »Am liebsten wäre ich dort hingefahren und hätte aufgeräumt.« Sprichwort Schanze: Dort hätten wegen der Gentrifizierung einfache Leute wie er mittlerweile »keine Schnitte« mehr.

Trost spendet Cord Wöhlke. »Als Vertreter der sozialen Marktwirtschaft setze ich mich für Leute wie sie ein« und zeigt auf den Jungpolizisten. Der millionenschwere Unternehmer und Geschäftsführer der Drogeriekette Budnikowsky trägt ganz klassenbewusst einen Seidenschal. Wöhlke nimmt die Rolle des G20-Opfers ein. Sein Laden in der Schanze wurde komplett zerstört. »Das war nicht nur Zerstörungswut, sondern blinde Zerstörungswut.« Zumindest sei er gut versichert gewesen. Doch Wöhlke wirkt überrascht differenziert und outet sich sogar als »linksliberal«. Die Veranstaltung in Berlin passt ihm gut. »Die Leute in Hamburg lieben uns, deshalb kommen wir jetzt nach Berlin«, erzählt er stolz. Bald öffnet der erste Budni in Berlin. Moderator Frauendorfer ist begeistert: »Direkt bei mir um die Ecke!«

Ein Besucher ist ganz besonders von der Veranstaltung angetan: Frank Börner. Der Berliner AfD-Politiker sieht mit seinen langen Haaren, Flip-Flops und der Haifischzahn-Kette aus wie ein Surfer in Ruhestand. Nur die Trainingshose von Union Berlin passt nicht ganz ins Bild. Ja, die Menschen sollten schon dort bleiben, wo sie herkommen, aber ein Rassist sei er damit noch lange nicht. Er habe ja auch mal ein Fußballturnier für Geflüchtete organisiert. Was Börner richtig nervt, ist »der ganze Genderquatsch«. Und der Sexismus? »Ich komme aus der DDR, ich weiß gar nicht, was das ist«, meint Börner. Im nächsten Satz spricht er von »West-Tussis«.

Auf dem Podium sitzt auch Tom Schreiber. Der als Linken-Hasser und Hobby-Sheriff verschriene SPD-Politiker schlägt für seine Verhältnisse ungewöhnlich milde Töne an. Nicht alle Linken seien gefährlich – sogar in der Rigaer Straße lebten ganz normale Menschen. Dennoch: Kieze dürften nicht zu Symbolen der linken Szene werden, zu »Angsträumen« quasi. Im Kampf gegen Linksextremismus brauche es vor allem Prävention.

Den Intellektuellen mimt Werner Patzelt. Weil Intellektuelle gerne erklären, erklärt der Professor von der TU Dresden die Hufeisen-Theorie. Gemäß dieser »Theorie« näherten sich die politischen Ränder, also links und rechts, wie bei einem Hufeisen wieder an. Patzelt präsentiert aber auch andere Weisheiten: Polizeigewalt sind Einzelfälle und strukturelle Gewalt durch den Kapitalismus gebe es nicht.

Stephan Mayer kommt zu spät, eine Abstimmung im Bundestag habe ihn aufgehalten. Der CSU-Staatssekretär gibt den harten Hund und beklagt, dass zu wenig Gelder für den Kampf gegen Linksextremismus aufgewendet würde. Auch zu G20 hat er eine klare Meinung: »Wenn das in Hamburg Rechtsextremisten gewesen wären, hätten wir monatelang Lichterketten gehabt.« Als er Werbung für die CSU macht, lacht sich der halbe Saal kaputt.

Immer wieder wird von den Anwesenden betont: Die Unterscheidung zwischen Links- und Rechtsextremismus sei wichtig, ja. Dennoch hält das die Anwesenden natürlich noch lange nicht davon ab, permanent die DDR- und Nazi-Zeit gleichzusetzen. Auschwitz und Hohenschönhauen fallen in einem Satz.

Am Ende bleiben noch zwölf Minuten für Fragen aus dem Publikum. Wie es sich für lupenreine Demokraten gehört, werden die Frage, die man vorher auf Karten schreiben durfte, vom Moderator ausgesucht. Polizeigewalt, hat es die bei G20 gegeben? Sehlig meint: Wenn es welche gegeben habe, werden sich die Gerichte darum kümmern.

Mit einem Dank an die anwesenden Sicherheitskräfte endet die Veranstaltung. Und am Ende erfüllt sich dann doch noch der Traum des Gedenkstättenleiters Knabe: Linke Journalisten und AfDler drängeln sich gemeinsam vor dem Wein- und Schnittchentisch. Doch alles gut. Fast zumindest.

Quelle: www.neues-deutschland.de/artikel/1093447.veranstaltung-ueber-linksextremismus-im-reich-der-extremen-mitte.htm

 


 

Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Reinwaschung der »Mitte«
Niklas Franzen über den problematischen Begriff des »Linksextremismus«
Von Niklas Franzen 06.07.2018, 18:34 Uhr Lesedauer: 1 Min.

»Linksextremismus – eine unterschätze Gefahr?« lautete der Titel einer Veranstaltung, die Donnerstagabend im ehemaligen Stasi-Gefängnis in Berlin stattfand. Nicht erst seit G20 ist der in den 1970er Jahren entstandene »Extremismus«-Begriff wieder en vogue. Die Kurzformel geht so: Es gibt zwei extreme Ränder – rechts und links – und eine Mitte. Wer dort nicht dazugehört, ist folglich ein »Extremist«. Dass der Begriff auf wissenschaftlich wackligen Beinen stellt, tut seiner Popularität keinen Abbruch.

Besonders problematisch: Der Begriff geht von einer Gleichwertigkeit bei beiden »radikalen Ränder« aus. Sind linke »Extremisten« wirklich so schlimm wie rechte »Extremisten«? Natürlich nicht. Wer linke Demonstranten mit mordenden Neonazis gleichsetzt, ist nicht nur historisch blind, sondern handelt vermutlich mit politischem Kalkül. Der »Extremismus«-Begriff hat nämlich eine reinwaschende Wirkung: Mit Verweis auf die angebliche Verfassungstreue und Gewaltlosigkeit der Mitte lassen sich schon mal der eigene Rassismus ausklammern oder die nächste Asylrechtsverschärfung schönreden. Mehr noch: Wegen angeblich »linksextremistischer Aktivitäten« wurden jüngst wieder linke Initiativen und Organisationen diskreditiert und verboten. Daher wundert es nicht, dass der »Linksextremismus« zu einer Standardvokabel der AfD geworden ist.

Quelle: www.neues-deutschland.de/artikel/1093553.extremismustheorie-reinwaschung-der-mitte.html

 


 

Sie nehmen Aufstellung: Polizei und Demonstranten beim G 20-Gipfel in Hamburg Foto: dpa

Protest gegen Linksextremismus-Debatte
Demonstrieren, nicht diskutieren
Vor der Stasi-Gedenkstätte demonstrieren Antifas gegen eine Debatte über Linksextremismus. Die Einladung, spontan teilzunehmen, schlagen sie aus.

BERLIN taz | Am Donnerstagabend wurde in der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen über „Linksextremismus – eine unterschätzte Gefahr“ diskutiert. Anlass war der erste Jahrestag der Krawalle beim G 20-Gipfel in Hamburg. Linke – Linksextreme gar – waren nicht geladen. Zumindest anfangs nicht. Dafür fünf Männer mit tendenziell konservativer Gesinnung.

Die Zusammensetzung der Runde hatte schon im Vorfeld irritiert. Die Berliner Northeast Antifa mobilisierte deshalb zu einer Gegenkundgebung direkt vor der Gedenkstätte, 30 Menschen kamen. „Die Elite trifft sich, um über linke Opposition zu reden, und nicht mit ihr. Mit welchem Recht, fragen wir?“, sagte ein Aktivist vor Ort.

Statt die Frage zu beantworten lud Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte, den Anmelder des Protest ein, an der Diskussionsrunde teilzunehmen. Jener lehnte jedoch ab: Die Einladung sei zu spät gekommen, um sich darauf vorzubereiten, so die Argumentation der Aktivist*innen. Das präsentierte Knabe in seiner Begrüßungsrede genüsslich seinem wie erwartet ebenfalls eher konservativen Publikum.

Die Besucher bekamen als erstes einen 360-Grad-Film zu sehen, aufgenommen während der Proteste gegen den Gipfel. In der Eingangsszene findet man sich ins anarchistische Unheil gestürzt. Inmitten von Straßentumulten und brennenden Barrikaden hört man im Hintergrund Gejohle und Explosionen. Vereinzelt werden diese Szenen von Eindrücken friedlicher Protest, Polizeiarbeit und Interviews abgelöst. Der Film soll in Seminaren für Jugendliche ab 16 Jahren eingesetzt werden.

Die Herrenrunde war sich schnell einig

In der anschließenden Diskussion traf der CSU-Staatssekretär im Bundesheimatministerium Stefan Mayer auf den Dresdner Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt, den Bundesjugendvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei Niels Sahling, den Berliner SPD-Abgeordneten Tom Schreiber und Cord Wölke, Geschäftsführer einer Drogeriekette, deren Filiale während der Proteste geplündert wurde.

Schnell wiederholten sich die Fragen des Moderatoren – und die Antworten auch.

Die Herrenrunde war sich schnell einig: Gegen Gewalt und die Ablehnung unsere freiheitlichen demokratischen Ordnung muss etwas getan werden. Es schien zu abwegig, nach den gesellschaftlichen Bedingungen von Gewalt zu fragen. Sobald das inhaltliche Furnier dünn wurde, verlegte man sich auf die Schilderung von Emotionen. Niels Saling, der während G20 im Einsatz war, habe sich schlecht gefühlt, als er sich davor von seiner Familie verabschiedete. Cord Wölke war erschüttert von der blinden Zerstörungswut. Und Tom Schreiber möchte nicht in einer Angstgesellschaft leben.

Schnell wiederholten sich die Fragen des Moderatoren – und die Antworten auch. Ja, Linksextremismus sei über Jahre unterschätzt worden. Ja, es gebe eine Schieflage in der Finanzierung von Präventivprojekten gegen Linksextremismus im Vergleich zu denen gegen Rechtsextremismus. Die Lösung: Mehr harte Repression und eine bildungspolitische Front gegen Linksextremismus.

Einzig Cord Wölke, der sich als liberaler Linker versteht, und Niels Sahling gaben hin und wieder differenzierte Ansätze in die Diskussion. Nicht alle Ausschreitungen und Plünderei wären links motiviert gewesen: „Da haben auch viele Angereiste und Menschen aus anderen Milieus mitgemacht“.

Quelle: www.taz.de/!5516442/

 


 

Ein halbes Dutzend Aktivisten hat am Donnerstag zur »Solidarität mit G-20-Gefangenen« aufgerufen Foto: RubyImages/F. Boillot

Gewaltmonopolisten
Ein Jahr dem G-20-Gipfel in Hamburg wurde in Berlin-Hohenschönhausen über die angeblich unterschätzte Gefahr des »Linksextremismus« debattiert
Von Jana Frielinghaus

An diesem Wochenende ist es genau ein Jahr her, dass in Hamburg Zehntausende gegen den Gipfel der Mächtigen aus 19 Industrie- und Schwellenländern sowie der EU gegen neoliberale Globalisierung und gegen von diesen Staaten entfesselte und angeheizte Kriege auf die Straße gingen. Zugleich kam es während des Gipfels zu Krawallen – und zu zahlreichen brutalen Angriffen von Polizisten auf friedliche Demonstranten, die hundertfach in Bild und Ton dokumentiert sind.

Doch letztere waren auf jener Veranstaltung am Donnerstag abend in der »Stasi«-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen kein Thema. Der Titel der Diskussion: »Linksextremismus – eine unterschätzte Gefahr? Eine Bilanz zum Jahrestag der G-20-Krawalle in Hamburg«. Das Fragezeichen war angesichts der Zusammensetzung des Podiums ein rein rhetorisches. Es ging vor allem um die Randalierer im Hamburger Schanzenviertel und um ihr prominentestes Opfer Cord Wöhlke, Inhaber der Drogeriekette »Budnikowsky«. In der Darstellung von Moderator Helmuth Frauendorfer, stellvertretender Direktor des Museums, war die Gewalt selbstverständlich »links«. Stephan Mayer, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, erklärte, Orte wie das linksalternative Zentrum »Rote Flora« in jenem Viertel der Hansestadt seien »Hort, Vorbereitungs- und Rückzugsraum des Linksextremismus«, die in Bayern längst geschlossen wären. Und auf die Frage, ob die »Marodeure« im Schanzenviertel denn automatisch Linke seien, meinte der CSU-Politiker, er habe »keinen Anlass zu der Annahme, dass die Taten von anders Motivierten verübt wurden«.

Etwas anders klang das sowohl bei Niels Sahling, Bundesjugendvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und selbst bei Cord Wöhler. Letzterer befand, es sei richtig gewesen, die »Rote Flora« nicht zu schließen. Er sehe nicht, dass deren Mitglieder ein Interesse an der Randale gehabt haben könnten. Ähnlich äußerten sich Anwohner in einer am Freitag im Deutschlandfunk Kultur ausgestrahlten Sendung. Wöhler kritisierte zudem, dass während der Plünderungen in seinem und anderen Läden mehr als drei Stunden lang kein einziger Polizist vor Ort gewesen sei.

Dafür hatte Sahling eine bemerkenswerte Erklärung: »Einsparung von Polizeikräften«, es müssten endlich mehr Stellen geschaffen werden. Während des Gipfels waren in Hamburg mehr als 30.000 Beamte im Einsatz, davon mehr als 20.000 aus der Bundesrepublik. Aus dem Publikum wurde Sahling gefragt, wie er »Grenzüberschreitungen« durch die Polizei bewerte. Wenn die stattgefunden hätten, »dann wird es Gerichte geben, die diese Kollegen dafür bestrafen«, sagte der 28jährige – und erntete dafür wie auch für seine Einschätzung, »gegen 100 Prozent« der auf dem Gipfel eingesetzten Beamten hätten sich »richtig verhalten«, lautes Lachen aus den hinteren Stuhlreihen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wird bei weniger als zehn Prozent der Anzeigen gegen Polizisten auch Anklage erhoben. In Hamburg gibt es laut Polizei rund 160 Ermittlungsverfahren gegen Beamte im Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel. Bislang gibt es keine einzige Anklage.

Immerhin: Sahling betonte, es habe viele Krawalltouristen gegeben, da sei so mancher im »Armani-Shirt« dabeigewesen, die meisten Randalierer hätten nicht ausgesehen wie »typische Kapitalismuskritiker«. Auch der Berliner SPD-Politiker Tom Schreiber sprach von »erlebnisorientierten Jugendlichen«, die nicht zuletzt alljährlich zum 1. Mai ein hohes Gewaltpotential mitbrächten.

Die Bilder der Zerstörung aus dem Schanzenviertel haben in jedem Fall ihren Zweck erfüllt. Staatssekretär ­Mayer, der direkt von der Haushaltsabstimmung im Bundestag nach Hohenschönhausen geeilt war, konnte berichten, dass die Zahl der Bundespolizisten im laufenden Jahr erneut um 3.000 aufgestockt wird. In der vergangenen Legislaturperiode seien bereits 7.000 neue Beamte eingestellt worden. Und auch im kommenden Jahr wird weiter aufgerüstet. Der am Freitag von der Bundesregierung beschlossene Haushaltsplan für 2019 enthält eine Aufstockung um drei Milliarden Euro im Bereich »innere Sicherheit«, die vor allem Bundespolizei und Bundeskriminalamt zugute kommen sollen. Darüber hinaus ist in Bayern das neue Polizeiaufgabengesetz verabschiedet worden, das den Beamten in der Geschichte der BRD nie dagewesene Befugnisse zu Freiheitsberaubung und Überwachung einräumt. In mindestens drei weiteren Bundesländern sind die parlamentarischen Prozesse zur Gesetzesverschärfung weit vorangeschritten.

Der aus Funk und Fernsehen durch Applaus für AfD-Forderungen bekannte Dresdner Politologe Werner Patzelt übernahm in Hohenschönhausen den Part des Linkenverstehers. Linkes, also auf Emanzipation und gleiche Rechte für alle Menschen ausgerichtetes Denken, habe schließlich eine »Ruhmesgeschichte«. Dass sich Linke gegen die Gleichsetzung ihrer Ziele und ihres Engagements gegen den weit in die gesellschaftliche Mitte reichenden »Autoritarismus und Rassismus« wehrten, sei nur verständlich. Er plädiere deshalb dafür, den »Extremismusbegriff« stark einzugrenzen auf gewaltsame Aktionen, bei denen es um das »Zugrundetreten der Menschenwürde und den Kampf gegen Buntheit« gehe.

Dagegen ließ es sich Museumsdirektor Hubertus Knabe nicht nehmen, Parallelen zwischen »linken« Zerstörern in Hamburg und »totalitären«, also »kommunistischen« und faschistischen Regimes gleichermaßen zu ziehen. Die jW-Korrespondentin begrüßte er als einzige Pressevertreterin ausdrücklich, fragte, wo sie sei, und stellte junge Welt anschließend als seine »Lieblingszeitung« vor, in der er kürzlich erstmals einen »ziemlich unideologischen Artikel« gelesen habe. Was er selbst verbreitete, hatte demnach mit Ideologie nichts zu tun. Linksextreme bewegten sich in der Tradition sozialistischer Staatsführungen. Die hätten einen »absoluten Wahrheitsanspruch« vertreten. Menschen mit anderer Meinung würden von ihren Enkeln im Geiste »Grundrechte aberkannt«, Gewalt werde als legitimes Mittel betrachtet. Wie die »NS-Gedenkstätten« sehe sich auch sein Haus mit dem »Wiederaufleben« menschenverachtender Weltanschauungen konfrontiert, beklagte Knabe. Er stehe für die Auseinandersetzung mit jeder Form von politischer Gewalt und für die »Verteidigung des Gewaltmonopols des Staates in alle Richtungen«. Für eine Institution ist ihre Ausübung demnach also in jedem Fall gerechtfertigt, sofern es sich um eine westliche »Demokratie« handelt.

In einem auf der Veranstaltung in Endlosschleife zwischen Knabes Eröffnungsrede und der Diskussion mindestens fünfmal gezeigten kurzen »360-Grad-Film über die Krawalle« kamen genau drei Personen als Kronzeugen für das Narrativ der Gedenkstätte zu Wort: GdP-Mann Sahling, Budnikowsky-Chef Wöhler und ein vermummter »Aussteiger« aus der linksextremen Szene.

Vor der Gedenkstätte hatten sich vor Veranstaltungsbeginn etwa 20 junge Antifaschisten versammelt, um gegen den tendenziösen Charakter der Diskussion zu protestieren und Solidarität mit gefangenen G-20-Gegnern zu bekunden. Im Saal mokierte man sich einerseits über die geringe Zahl der Demonstranten – und beklagte andererseits, dass man sich von drei Mannschaftswagenbesatzungen Polizeibeamter vor ihnen schützen lassen müsse. Zudem, berichtete Moderator Frauendorfer, gehe unter den Mitarbeitern der Gedenkstätte die Angst um, man fühle sich – von Linken vermutlich – bedroht und verfolgt.

Quelle: www.jungewelt.de/artikel/335525.gewaltmonopolisten.html

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