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Zum 130. Geburtstag von Ferdinando „Nicola“ Sacco – Kampf der Klassenjustiz

Kampf der Klassenjustiz

Am 22.04.2021 jährt sich der Geburtstag von Ferdinando „Nicola“ Sacco zum 130. Mal. Geboren im Süden Italiens wanderte er wie so viele andere Arbeiter:innen, Bäuer:innen und Arme vor allem aus den armen und ländlichen Teilen Europas zu jener Zeit in die USA aus und schloss sich hier der jungen anarchistischen Arbeiter:innenbewegung an. International bekannt wurde er, als er 1921, gemeinsam mit dem ebenfalls aus Süditalien stammenden anarchistischen Arbeiter Bartolomeo Vanzetti, aufgrund fragwürdiger Indizien von der US-amerikanischen Klassenjustiz schuldig gesprochen wurde, einen Raubüberfall begangen zu haben.

Schnell gründete sich aus den Reihen der anarchistischen Arbeiterbewegung ein Sacco-Vanzetti Defense Committee um für eine Verhinderung des Todesurteils und eine Freilassung der Beiden zu kämpfen. Die politischen Aktivitäten für Sacco und Vanzetti wurden strömungsübergreifend von Anarchist:innen, Kommunist:innen und Sozialist:innen bis hin zu kritischen bürgerlichen Intellektuellen und Kirchenkreisen getragen. Auch blieben sie nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt. Weltweit gingen vor allem Arbeiter:innen auf die Straße, um für die Freiheit der Beiden zu demonstrieren. Teils kam es dabei auch zu militanten Aktionen gegen US-amerikanische Einrichtungen. Einen wichtigen Beitrag zur internationalen Koordinierung der Aktivitäten leistete die Internationale Rote Hilfe, welche damals an die Kommunistische Internationale angeschlossen war. Die internationale Kampagne für Sacco und Vanzetti kann also als ein frühes Beispiel für grenz- und strömungsübergreifende Klassensolidarität betrachtet werden.

Leider führten die internationalen Aktivitäten nicht zur Freilassung der Beiden. Am 23. August 1927 wurden Sacco und Vanzetti in Charlestown, Massachusetts auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Wenn wir heute an die beiden erinnern, geht es uns nicht darum, nachträglich ihre Unschuld zu beweisen – auch wenn ihre Beteiligung an dem Raubüberfall mehr als fragwürdig ist, sodass sie 1977 durch den zu diesem Zeitpunkt amtierenden Gouverneur Michael Dukakis rehabilitiert wurden.

Für uns ist es unerheblich, ob Sacco und Vanzetti die ihnen von einem bürgerlichen Gericht vorgeworfene Tat begangen haben. Immerhin waren Banküberfälle und bewaffnete Enteignungen zu dieser Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine weit verbreitete Praxis vor allem unter Anarchist:innen (z.B. die Bonnot-Bande im französischen Staat), aber auch unter Kommunist:innen (z.B. die Aktionen des „roten Banditen“ Max Hoelz in Sachsen und Thüringen). Selbst wenn Sacco und Vanzetti die ihnen vorgeworfene Tat begangen hätten, blieben sie in unserer Erinnerung dennoch unsere Klassenbrüder, die vor einem Gericht des Klassenfeindes verurteilt wurden.
Historisch wie aktuell stehen Genoss:innen aus revolutionären Zusammenhängen oder widerständige Individuen vor den Gerichten der bürgerlichen Justiz.

Wie in allen Klassengesellschaften steht auch im Kapitalismus die Justiz im Dienste der herrschenden Klasse. Dies gilt für bürgerliche Demokratien wie auch (wenn auch mit offenkundigen Unterschieden) für offene Diktaturen. Die Justiz und das eng mit ihr verbundene Gefängnissystem dient der Aufrechterhaltung der Herrschaft des Kapitals und der bürgerlichen Klasse(n). Delinquenz und Abweichungen von der herrschenden bürgerlichen Norm sollen sanktioniert und vor allem diszipliniert und wieder in die herrschende „Normalität“ integriert werden. Wenn diese Integration nicht möglich ist oder es den Herrschenden dienlicher scheint, schreckt die bürgerliche Justiz auch vor Mord nicht zurück – in einigen bürgerlichen Gesellschaften, vor allem (aber nicht ausschließlich) in faschistischen Diktaturen ganz legal als Teil eines „offiziellen“ Staatsterrors oder sogar außerhalb einer bürgerlichen Legalität mithilfe von organisierter Kriminalität, Paramilitärs, Todesschwadronen etc.

Den Herrschenden ist jedes Mittel recht, um ihre Herrschaft zu bewahren. Dabei dürfen die Unterschiede zwischen verschiedenen bürgerlichen Herrschaftsformen natürlich nicht verwischt werden. In einer bürgerliche Demokratie wie z.B. der BRD schreckt der Staat vom offenem, tödlichen Terror natürlich eher zurück, um den Schein von demokratischer Legitimität und einer unabhängigen Justiz aufrecht zu erhalten, während sich eine faschistische Diktatur, wie sie auch in Deutschland von 1933 bis 1945 herrschte, um diese „Kleinigkeiten“ nicht schert.

Doch auch ein scheinbar „unabhängiger“ und innerhalb eines demokratischen Systems der Gewaltenteilung beschränkter und legitimierter Justizapparat stellt einen Teil kapitalistischer Verhältnisse und bürgerlicher Herrschaftssicherung dar. Heute ist diese Form der Klassenherrschaft für die bürgerliche(n) Klasse(n) sogar weit attraktiver als der offene Terror des Faschismus, da der Schein der Rechtmäßigkeit deutlich einfacher aufrecht erhalten werden kann.

Auch wenn dies für Revolutionär:innen einige legale Möglichkeiten der Betätigung eröffnet, dürfen wir die auch in einer bürgerlichen Demokratie wirkenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse, welche sich auch im bürgerlichen Justizapparat niederschlagen, niemals aus den Augen lassen. Ihre Justiz richtet sich aktiv gegen uns als proletarische Revolutionär:innen sowie gegen unsere Klasse – das Proletariat.

Wenn die bürgerliche Justiz linke und revolutionäre Strukturen verfolgt (hier seien für den Kontext BRD vor allem die Verfahren und Verurteilungen nach den Paragraphen 129, 129a und 129b genannt) ist dies ein direkter staatlicher Angriff auf unsere Strukturen, dem wir gemeinsam und entschlossen entgegentreten müssen. Beispiele für Verfahren der Klassenjustiz gegen unsere Genoss:innen hier in der BRD sind die laufenden Prozesse im Nachgang des G20-Gipfels in Hamburg, die Verfahren gegen Antifaschist:innen wegen des Angriffs auf Faschisten in Eisenach und der militanten Aktion gegen die AfD-Pseudogewerkschaft „Zentrum Automobil“ in Baden-Würtemberg, die Prozesse gegen mutmaßliche Mitglieder der türkischen kommunistischen Organisationen TKP-ML und DHKP-C oder der Versuch der VVN-BDA die Gemiennützigkeit zu entziehen… Die Liste ließe sich lange fortsetzten.

Genoss:innen wie Lina aus Leipzig, Dy aus Baden-Würtemberg oder die türkischen Revolutionäre Müslüm Elma und Musa Asoglu sitzen als politische Gefangene in der BRD hinter Gittern. International sollen an dieser Stelle Mumia Abu-Jamal in den USA, Georges Ibrahim Abdallah im französischen Staat und Dimitris Koufontinas sowie Nikos Maziotis und Pola Roupa in Griechenland nicht unerwähnt bleiben. Leider ist die Liste an Genoss:innen hinter Gittern zu lang, um alle ihre Namen zu nennen.

Als Revolutionäre stehen wir hinter unseren Genoss:innen in Haft und müssen unsere Aktivitäten zur Erkämpfung ihrer Freiheit verstärken! Hierfür müssen wir uns auch international vernetzten und unsere Kämpfe als Teil des globalen Kampfes gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen die Herrschaft des Kapitals und für die Freiheit jener, welche aufgrund dieser Kämpfe eingeknastet wurden, begreifen!

Doch trifft die bürgerliche Klassenjustiz nicht ausschließlich politische Aktivist:innen und Militante. Die meisten Gefangenen in deutschen Knästen (und nicht nur hier) sitzen aufgrund ihrer Klassenherkunft hinter Gittern: als Schwarzfahrer:innen, weil sie Schulden hatten und diese nicht zahlen konnten, wegen kleineren Drogendelikten usw. Auch diesen Klassengeschwistern gilt unsere Solidarität! Der gesamte bürgerliche Justiz- und Knastapparat trägt den Stempel der herrschenden Klasse und dient nur der Durchsetzung ihrer Interessen. Es geht nicht darum die Gesellschaft vor „gefährlichen Individuen“ zu schützen, sondern darum die Gesellschaft zu disziplinieren, indem Abweichungen bestraft werden. Dieses Disziplinierungssystem durchzieht Bildungseinrichtungen, Arbeitsplätze, die gesamte Soziale Arbeit und eben auch vor allem die Institution Knast!

Aus all diesen Gründen gilt anlässlich des Geburtstags von Nicola Sacco auch heute:

Kampf der Klassenjustiz!
Freiheit für alle politischen und sozialen Gefangenen!
Hoch die internationale Solidarität!

Zum Weiterlesen: Biographie von Sacco & Vanzetti

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