Wir alle sind gleich – aber manche sind gleicher
Im Folgenden veröffentlichen wir einen Gastbeitrag von Mahan (Name geändert), der aus Afghanistan geflohen ist und von der jüngsten Debatte um Abschiebungen nach Afghanistan sehr betroffen ist.
Was der Scherz des deutschen Innenministers in einem auslöst, wenn man selbst aus Afghanistan geflohen ist.
Ein neues Leben in Deutschland
Ich heiße Mahan und bin aus Afghanistan geflohen. 2015 war ich einer von Vielen, die in Deutschland Schutz suchten und sich ein neues Leben aufbauen wollten.
Nach meiner Ankunft wurde ich zunächst in einer Sammelunterkunft untergebracht. Dort lebten Jugendliche aus vielen verschiedenen Ländern zusammen. Es gab Verständigungsschwierigkeiten und Konflikte – auch durch häufige Falschübersetzungen von Dolmetschern.
Nach einigen Monaten durfte ich in eine WG ziehen und die Schule besuchen. Ich war sehr motiviert und engagiert, lernte schnell Deutsch und schrieb gute Noten. Ich freute mich, endlich soziale Kontakte knüpfen zu können und war sehr glücklich.
Ich begann, meine Zukunft zu planen – Schulabschluss, Ausbildung, Studium.
Während all der Zeit stand die Entscheidung über meinen Asylantrag noch aus. Doch ich war voller Hoffnung, schließlich gab ich mir große Mühe, alles richtig zu machen, integrierte mich gut, hielt mich an alle Regeln.
Kurz nachdem ich volljährig wurde, erhielt ich dann endlich den Brief vom BAMF. Mein Antrag auf Asyl wurde abgelehnt. Für mich war es ein Schlag ins Gesicht.
Hatte ich nicht alles gemacht, was von mir erwartet wurde? Hatte ich nicht schnell die Sprache gelernt, mein Verhalten angepasst? Warum soll ich in ein Land zurückgeschickt werden, in dem Krieg herrscht? Wie kommt irgendjemand darauf, dass es dort sicher für mich ist?
Dass mir mein Onkel, der bei den Taliban ist, mit dem Tod drohte – interessiert es keinen?
Ich fiel in ein Loch, wurde depressiv. Meinen MSA schaffte ich trotzdem, bekam sogar die Zusage für einen Ausbildungsplatz. Doch wie es für mich weitergeht, weiß ich nicht. Ich mache weiter Pläne für mich, aber über meine Zukunft wird nun bald ein Gericht entscheiden.
Wie steht es um die Menschenwürde?
Horst Lorenz Seehofer, geb. am 04.07.1949 in Ingolstadt. Beruf: Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat im Kabinett Merkel IV. Näher mit ihm beschäftigt habe ich mich erst in der letzten Zeit. In den Nachrichten las ich, dass am 04. Juli 2018 69 Afghanen abgeschoben wurden trotz eines Vertrages zwischen Deutschland und Afghanistan, dass nicht mehr als 50 Menschen auf einmal abgeschoben werden sollen. Horst Seehofer äußerte sich zufrieden über die hohe Zahl und machte einen Scherz darüber – 69 Abgeschobene an seinem 69. Geburtstag… am Tag seines Statements erhängte sich einer der abgeschobenen Geflüchteten in Kabul in einem Hotel.
Unter den Abgeschobenen gingen einige zur Schule, machten eine Ausbildung, hatten einen Arbeitsplatz. Obwohl ein bestehendes Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis vor Abschiebung schützen soll, ist es inzwischen zur Normalität geworden, trotzdem abzuschieben. Seit Afghanistan zum sicheren Herkunftsland erklärt wird, weil „nicht in allen Gebieten dauerhaft gekämpft wird“. Wie paradox ist das?
Wenn Mitglieder der deutschen Regierung nach Afghanistan reisen, tragen sie bei öffentlichen Auftritten meist kugelsichere Westen. Obwohl sie sagen, dass es dort sicher ist.
Afghanen tragen ihr Leben lang normale Kleidung, die nicht vor Kugeln und Bomben schützt.
Ist das Leben einer Angela Merkel oder eines deutschen Innenministers mehr wert?
Kann eine Angela Merkel auf den Straßen Afghanistans sicher ohne kugelsichere Weste laufen? Ich denke nicht.
In Deutschland habe ich gelernt, dass nach dem Grundgesetz alle Menschen gleich sind. Aber stimmt das wirklich?
Unausgesprochenes
Was haben diese Ereignisse und Nachrichten in mir ausgelöst? Natürlich viele Emotionen wie Unsicherheit, Angst, Bedrohungsgefühle, Wut, Enttäuschung. Negative Emotionen.
In Afghanistan hatte ich kein Vertrauen in die, die sich zur Obrigkeit erklärten – Taliban, Politiker, Polizisten, insgesamt alle Staatsgewalten und auch in einige Verwandte, Menschen aus meinem täglichen Leben.
Mein Onkel drohte, mich zu ermorden, wenn ich nicht bei den Taliban mitmache und ich dachte, Deutschland gibt mir Zuflucht deswegen. Deshalb fühlte ich mich wohl und sicher, auch wenn ich Polizisten auf der Straße sah und durch die Stadt lief.
Jetzt bin ich von Vielem enttäuscht.
Nachdem Seehofer den Scherz über die Zahl der Abgeschobenen gemacht hatte, gab es in meinen Augen viel zu wenig Kritik an ihm. Da fühlte ich mich einsam. Ich hätte viel mehr Reaktionen von mehr Menschen über so eine Ungeheuerlichkeit erwartet.
Online las ich sogar von vielen Menschen, dass sie zufrieden mit der Abschiebung waren. Das machte mich traurig.
Mein Herz ist voller unausgesprochener Worte, die ich irgendwie ausdrücken möchte. Auch deshalb schreibe ich diesen Text. Wenn ich die Gelegenheit hätte,
mit allen Menschen in Deutschland zu reden, würde ich sagen: Ich bin nicht gefährlich und ich bin euch dankbar, hier leben zu können. Ich habe viel gelernt und möchte arbeiten gehen und mir meinen Lebensunterhalt selbst verdienen.
Ich will auch sagen: Egal ob du ein normaler Mensch oder ein Politiker mit viel Einfluss und Macht bist – jeder kann sich irren und Fehler machen.
Doch wenn einer von uns einen Fehler macht, dann sagen alle: „Wir wussten es doch, dass diese Leute Straftäter sind und nur Probleme machen.“
Und worum ich bitten möchte: Geduld, Verständnis und Unterstützung. Es dauert eine Weile, bis man sich in Deutschland zurechtfindet, wenn man in einer gänzlich anderen Kultur aufgewachsen ist. Es dauert, aber durch ein bisschen Unterstützung funktioniert es umso besser.
Und lasst nicht zu, dass weiter nach Afghanistan abgeschoben wird. Es ist kein sicheres Land.
Quelle: www.leftreport.org/wir-alle-sind-gleich-aber-manche-sind-gleicher/