Am 12. Juli 2014 demonstrierten 240 Menschen im Gedenken an den im KZ ermordeten Erich Mühsam in Oranienburg unter dem Motto „Sich fügen heißt lügen!“. Die Demo verstand sich als klar politisches Gedenken und Ergänzung zu den zahlreichen Kulturveranstaltungen rund um Mühsams Todestag. Der Hauptfocus der Aktion richtete sich deshalb auf Mühsam als Anarchisten, Antifaschisten und Freigeist.
Aufgerufen hatten die North East Antifa (NEA), das Kulturzenttrum WB13 und die Anarchosyndikalistische Jugend Berlin (ASJ). An der Demonstration beteiligten sich Menschen aus Brandenburg, Berlin und anderen Bundesländern. Auch Anwohner*innen reihten sich in den Demozug ein.
Erinnerung an Naziverbrechen in Oranienburg
Während der Demo wurden zahlreiche „Nein zum Heim“-Aufkleber entfernt, die sich gegen die Eröffnung der Asyl-Unterkünfte in Gransee und Lehnitz richten. Dies zeigt die tagespolitische Notwendigkeit für antifaschistische Demos vor Ort, auch unabhängig von Anlässen wie diesen.
In Redebeiträgen wurde deshalb die Rolle des Oberhavelkreises als Rückzugsraum für Nazikader, die Anti-Asyl-Propaganda der NPD und deren Reorganisierung thematisiert.
Beim Hinweg wurde ein besonderer Augenmerk auf das (nicht mit Sachsenhausen zu verwechselnde) KZ Oranienburg gelegt – an dessen ehemaligem Standort sich heute keine Gedenkstätte, sondern ein Lidl-Parkplatz befindet. Außerdem wurde über die unrühmliche Rolle der Oranienburger Bevölkerung während der Nazizeit berichtet, die sich immer wieder an KZ-Häftlingen verging, wenn diese durch den Ort gehen mussten. In Redebeiträgen wurde das Schicksal weiterer Gefangener und Ermordeter, die nicht die Bekanntheit Mühsams erlangten, geschildert.
Ein Redebeitrag befasste sich zudem mit Zenzl Mühsam, der Ehefrau Erich Mühsams, deren Wirken oft vernachlässigt wird und die nach ihrer Flucht in die Sowjetunion noch bis 1954 in Straflagern verbrachte.
Würdevolles Gedenken trotz Platzregen
Ein plötzliher, in der Erich Mühsam-Straße einsetzender starker Regen überraschte und durchnässte alle Teilnehmenden. Dennoch wohnten die meisten dem Gedenken bis zur Endkundgebung bei.
Während der Gedenkkundgebung am ehemaligen KZ Oranienburg berichteten die Lesebühnen-Autor*innen Peter und Susanne Bäß über Erich Mühsams Leben und gaben dessen Anti-Kriegstext „Der Feuerwehrbund“ zum Besten. Danach lasen zwei Antifaschist*innen die Gedichte „Lumpenlied“ und „Rebellenlied“.
Anschließend boten die Liedermacher Christoph Holzhöfer und „Geigerzähler“ Vertonungen bekannter Mühsam-Gedichte wie „Mein Gefängnis“, der „Revoluzzer“, oder „Der Gefangene“ dar.
Auch wenn sich im Laufe des Gedenkens viele Teilnehmer*innen nach einer Stunde Kälte und Regen auf den Rückweg machten, blieben noch rund 70 Menschen bis zum Schluss und wohnten der Kranzniederlegung sowie der Abschlussrede über Erich Mühsams Gefangenschaft und Ermordung bei. Nach einer Schweigeminute legten die Veranstalter*nnen sowie die Piraten-Fraktion Berlin Kränze am Gedenkstein für Erich Mühsam nieder.
Die Freie ArbeiterInnen Union (FAU) Berlin, die mit einer größeren Delegation am Gedenken teilnahm, hatte ebenfalls einen Kranz dabei. So endete das Gedenken am Ende doch noch unverregnet und in würdevoller Atmosphäre.
Der Rückweg wurde aufgrund des durchnässten Zustands der Teilnehmer*innen jedoch nicht – wie zunächst geplant – als Demo zurückgelegt.
Alles in allem ziehen wir ein positives Fazit…
Mit der Teilnehmer*innenzahl von 240 sind wir zufrieden, da 300 Menschen oft das Maximum an Teilnehmer*innen umfasst, dass mensch in Oranienburg auf einer Demo vereinen kann. Berücksichtigt werden müssen auch Parallelveranstaltungen in Berlin, wie die Mad and Disability Pride Parade. Aus den größeren Brandenburger Städten, wie Neuruppin, Strausberg, Potsdam und Frankfurt/Oder waren Menschen angereist. Sogar aus Bochum, Kiel, Göttingen und Mainz wurden Teilnehmende gesichtet. Älteres Publikum, beispielsweise aus den VVN-BdA-Strukturen oder Ortsansässige, waren hingegen weniger vertreten. Das hat verschiedene Gründe: Das Gros der älteren VVN-BdA-Mitglieder kann an Demos auf Grund ihrer körperlichen Verfasstheit oft nicht mehr aktiv teilnehmen, die Organisierung eines Transportes von Genoss*innen der VVN-BdA hätte wiederum einen logistischen Aufwand bedeutet, den wir nicht stemmen können. Gerade Brandenburg als Flächenland bildet hier eine enorme Hürde.
Im Rahmen des runden Jahrestages der Befreiung vom deutschen Faschismus im kommenden Jahr sollten wir jedoch verstärkt überlegen, wie wir die Beteiligung der älteren Genossen*innen an Demonstrationen und Gedenkfeierlichkeiten bewerkstelligen können. Ihre Anwesenheit und ihre Meinung sind hier besonders wichtig.
Die.Linke Oberhavel hatte anlässlich Erich Mühsams Todestag eine Ausstellung organisiert und war am 10. Juli an der Durchführung eines Gedenkens an Mühsams Todestag und eine Ausstellung beteiligt. Allerdings hätte eine Zusammenarbeit bei den Unterstützer*innen der Demo, die sich zum Großteil aus anarchistischen Gruppen zusammensetzte, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Irritationen geführt. Die Lösung war so gesehen nicht ideell, zumal Teile des Vorbereitungskreises im Umgang mit “nicht linksradikalen” Bündnispartner*innen in der Alltagspraxis einen unkomplizierteren Umgang pflegen. Die Variante jemanden einzuladen und sich am Ende nicht zu seinen Bündnispartner zu bekennen kam für uns auch nicht in Frage. Gemessen an den Kapazitäten und zu erledigenden Aufgaben, bei einem Thema, das kein allzu breites Publikum anzieht, hielten wir es darum für die bessere Entscheidung, uns vor allem auf die Bewerbung zu konzentrieren. Die wiederum war Spektrenübergreifend.
Im bundesweiten Naziaufmarsch am 6. Juni 2015 in Neuruppin („Tag der deutschen Zukunft“) sehen wir eine Möglichkeit, eine gute und breite Zusammenarbeit zwischen Antifa und Zivilgesellschaft, so wie zwischen Berlin und Brandenburg auf die Beine zu stellen.
An dieser Stelle wollen wir uns bei allen Beteiligten und Unterstützer*innen bedanken, vor allem bei jenen Reisegruppen, die eine weite Anreise hatten. Den Organisator*innen des Erich Mühsam-Festes gilt ebenfalls unser Dank für ein wirklich schönes und vielfältiges Fest zu Ehren Mühsams und des “Nolo”-Prinzips. Über 1000 Besucher waren vor Ort, mehr als 100 Bühnenakteure bestritten gut besuchte Diskussionen, Konzerte und Vorträge. Wir denken, das Fest und die Demo haben sich recht gut ergänzt.
Momentan arbeiten wir an der Wiederauflage einer Broschüre zu Mühsams Leben und politischem Kampf. Sie wird auf www.erichmuehsam.antifa-nordost.org herunterzuladen sein. Wenn das Wetter mitspielt, werden wir das Heft mit einer kleinen Lesung in den kommenden Monaten gebührend releasen.
Die Demonstration hat gezeigt, dass es möglich ist, das Gedenken an Nazi-Opfer, antifaschistisches Engagement in der Gegenwart und eine libertäre Perspektive miteinander zu verknüpfen – die historische Person also nicht zu entpolitisieren, ohne sie deshalb zu instrumentalisieren. Daran wollen wir auch in Zukunft anknüpfen.
Sich fügen heißt lügen!
Für einen libertären Antifaschismus!
Vorbereitungskreis der Erich Mühsam – Gedenkdemo
Bilder:
Sören Kohlhuber:
https://www.flickr.com/photos/soerenkohlhuber/sets/72157645636605681/
Ney Sommerfeld:
https://www.flickr.com/photos/neysommerfeld/sets/72157645236862239/
Presse:
Neues Deutschland:
„Gedenken an Erich Mühsam“, Peter Nowak, 14.07.2014
Märkische Online Zeitung:
„Linke Gruppen demonstrieren in Oranienburg“, Aileen Hohnstein, 14.07.2014
RadioAktiv:
Sendung vom 14.07.2014