Eine Erklärung der North East Antifa [NEA]
Am 15. Mai war der Gedenktag der Nakba. An diesem Tag wird der ca. 750.000 Palästinenser:innen gedacht, die ab Mai 1948 von paramilitärischen Gruppen, wie Hagana und Irgun, aus dem Gebiet des heutigen Israels vertrieben wurden. Dabei kam es zu Massakern an der Zivilbevölkerung und fast 500 palästinensische Städte und Dörfer wurden zerstört. Was auch immer die Vorgeschichte des Konflikts war, hier wurden unbeteiligte Zivilist:innen Opfer einer ethnischen Säuberung. Die Nakba ist für Palästinenser:innen nicht nur ein historisches Ereignis, sondern hat insbesondere für die palästinensische Diaspora weiterhin einen aktuellen Bezug. Der Gedenktag wird daher jährlich begangen.
Wie bereits im vergangenen Jahr zum Jahrestag der Nakba existiert jedoch auch dieses Jahr seit April anhaltend wieder ein komplettes Demonstrationsverbot in Berlin für alle Demonstrationen, die die andauernde Unterdrückung der Palästinenser:innen thematisieren. Begründet wird das Demonstrationsverbot in einem Verbotsschreiben der Polizei damit, dass die Versammlungsteilnehmenden sich „zum Großteil aus jüngeren Personen der arabischen Diaspora“ zusammensetzen würden. Bei „dieser Klientel“ herrsche eine „deutlich aggressivere Grundhaltung vor“ , man sei „gewalttätigem Handeln nicht abgeneigt“ und quasi qua Herkunft mit einer hohen Emotionalität ausgestattet. Außerdem werde bei diesen Menschen „ein skandieren strafbarer Parolen und zeigen verbotener Symbole“ erwartet. Dass es bei manchen vergangenen Demonstrationen mit Palästina-Bezug von Teilnehmenden zu antisemitischen Äußerungen kam, ist richtig. Hier müssen linke Aktivist:innen dafür Sorge tragen, dies konsequent zu unterbinden. Während aber in den letzten Jahren Querdenker:innen auf ihren Demonstrationen immer wieder ungestört den Holocaust und den deutschen Faschismus relativieren und antisemitische Erzählungen verbreiten konnten und Faschist:innen von staatlicher Seite ungehindert Gedenkmärsche für NS-Verbrecher mitten in Berlin durchführen konnten, wird mit diesem kompletten Verbot von staatlicher Seite erneut, wie bereits im vergangenen Jahr, den ca. 40.000 in Berlin lebenden Palästinenser:innen pauschal unterstellt, sie seien grundsätzlich aggressiv und antisemitisch. Davon sind auch Gruppen und Anmelder:innen betroffen, die sich klar gegen Antisemitismus aussprechen. Wir sehen in dieser anhaltenden staatlichen Beschneidung des Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit antipalästinensischen Rassimus und den Versuch, das Eintreten für palästinensische Interessen dauerhaft zu verhindern und aus dem öffentlichen Raum zu drängen.
Antisemitische Aussagen sind zu verurteilen und Menschen, die diese auf Demonstrationen tätigen, müssen ohne Kompromiss von Veranstaltungen heruntergeschmissen werden! Bei vielen Demonstrationen geschieht das nicht, oder zu halbherzig. Auch viele palästinensische Proteste haben sich hier nicht konsequent genug abgegrenzt oder versuchen sogar antisemitische Vorfälle zu relativieren.Das ist natürlich inakzeptabel und dafür gibt es keine Rechtfertigung. Antisemitische Äußerungen müssen thematisiert werden und dürfen nicht mit dem Argument „wir lassen uns nicht spalten“ abgetan werden. Gerade in Zeiten wo die Antisemitismusbekämpfung von der deutschen Staatsräson zur ordnungspolitische Maßnahme instrumentalisiert wird, müssen sich antirassistische Aktivist:innen klar von antisemitischen Positionen abgrenzen, um die Thematisierung antisemitischer Parolen nicht dem bürgerlichen Staat und sensationshungrigen Journalist:innen zu überlassen.
Bei der momentanen Verbotswelle geht es jedoch nur Vordergründug um die Bekämpfung von Antisemitismus: wie wir in den vergangenen Wochen gesehen haben, wurden alle Demonstrationen zur Nakba bis auf ein Kulturfest am Herrmanplatz am 13.05 verboten. Und auch dort wurde jedwede politische Äußerung bereits im Vorfeld untersagt, selbst Dabke tanzen wurde den Teilnehmer:innen mehrere Stunden verboten. Nur eine unangemeldete Spontandemonstration am 15.05.2023 in Neukölln schaffte es zu laufen. Mit diesen Verboten wird also offenkundig nicht auf antisemitische Vorfälle reagiert, sondern umgekehrt, antisemitische Vorfälle als Vorwand genutzt, um palästinensische Proteste im Allgemeinen zu delegitimieren, gerade auch die, bei denen es keine antisemitischen Parolen oder Übergriffe gab.