Im Oktober verurteilte das Nürnberger Amtsgericht zwei linke Aktivisten zu 18 bzw. 15 Monaten Haft ohne Bewährung. Der Grund: Sie sollen im Sommer 2019 auf dem Jamnitzer Platz in Nürnberg PolizeibeamtInnen angeschrien haben.
Im Februar soll der Berufungsprozess vor dem Landgericht stattfinden. Solidarität ist gefragt!
Der Jamnitzer Platz als Symbol für den Kampf gegen Gentrifizierung und Vereinzelung in Nürnberg ist seit vielen Jahren wiederkehrendes politisches Thema, treten dort doch die Widersprüche deutlich auf, die aus neoliberaler Städteplanung resultieren.
Enger Wohnraum, überteuerte Bars oder einfach das Bedürfnis nach Frischluft – es gibt einige gute Gründe, warum die Menschen in Nürnberg mal einen Abend draußen verbringen. Vor allem in Vierteln wie Gostenhof und der Südstadt, wo die Menschen in der Regel nicht auf private Gärten ausweichen können, verschiebt sich das Leben ein Stück weit in den öffentlichen Raum. Der Jamnitzer Platz ist ein solcher Ort des Zusammenkommens.
Hier wird sich getroffen, unterhalten, getrunken und gelacht. Dass es dabei auch mal lauter werden kann, liegt in der Natur der Sache. Sehr zum Unmut aber für einige der neuen NachbarInnen. Das ist das Drama mit dem Spießertum. Chic und lebendig soll das Szeneviertel sein, ein ausreichendes Restaurant-, Bar- und Bioangebot zur Verfügung stellen. Um 22Uhr sollen die Gehsteige aber hochgeklappt werden. Das neu hinzugezogene Besitzbürgertum fördert nicht nur die Gentrifizierung mit all ihren negativen Begleiterscheinungen, sondern will auch die Regeln neu gestalten. Dass diese Umstrukturierung ein massiver Eingriff in die Lebensqualität der GostenhoferInnen darstellt, wird verdrängt. Um der Gentrifizierung Vorschub zu leisten, sollen die Interessen einer finanzstarken Minderheit gegen die Bedürfnisse der finanzschwächeren Mehrheit durchgesetzt werden. Und hier kommt die Polizei ins Spiel. Fast täglich werden ParknutzerInnen von einer immer aggressiver aftretenden Polizei belästigt. Man wird geschubst, geschlagen, beleidigt und begrabscht – das macht Wut im Bauch.
Verwunderlich also nicht, dass die meist friedliche Stimmung am Platz mit dem Eintreffen der Polizei vorüber ist. Verwunderlich ist auch nicht, dass sich die Menschen die Schikanen nicht ewig unwidersprochen gefallen lassen. Im Juni 2019 ist den ParknutzerInnen dann der Kragen geplatzt. Im Verlauf einer Personenkontrolle sammelte sich eine größere Gruppe an solidarischen Menschen und beschloss, die polizeilichen Schikanen nicht weiter hinzunehmen. Die BeamtInnen wurden verbal dazu aufgefordert, den Platz zu verlassen und die Leute in Ruhe zu lassen. Widerwillig kam die Polizei dem nach. Trotz angerückter Verstärkung verzog sich die Polizei anschließend aus dem Park.
Scheinbar wollte die Polizei dies nicht auf sich sitzen lassen. Seit dem Vorfall ist die Polizeipräsenz am Jamnitzer Platz noch einmal stark angestiegen. Mittlerweile fährt sogar das USK Streife, der Platz wird Nachts von Polizeibussen umkreist und mit Scheinwerfern ausgeleuchtet. Kleinste Ordnungswidrigkeiten werden sofort aggressiv geahndet und Straftatbestände werden konstruiert.
Doch der Nachgang des Abends im Juni legt dem ganzen noch eine gewaltige Schippe drauf. Scheinbar genügt es der Polizei nicht mehr, Ordnungswidrigkeiten nur zu ahnden. Um die gewünschte Handhabe gegen den gelebten zivilen Ungehorsam zu haben, werden bürgerkriegsähnliche Zustände am Jamnitzer Platz herbei fantasiert und Straftaten konstruiert. Und das – wie so oft, wenn es um Gostenhof geht – mit kräftiger Unterstützung der Lokalzeitung Nürnberger Nachrichten. Diese bauschte, nachdem die ursprüngliche Polizeimeldung zu den Vorfällen im Park noch reichlich unspektakulär klang, das Geschehen maßlos auf. Die Polizei zog daraufhin – offenbar politisch motiviert – nach und stellte die Ereignisse nun ebenfalls so drastisch wie möglich dar.
Um der eigenen Darstellung Gewicht zu verleihen, soll nun an zwei Menschen ein Exempel statuiert werden. Der Vorwurf: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung. Es wird sich eine überspitzte Darstellung des Geschehens ausgedacht, ein Schauprozess gehalten und ein Terrorurteil gesprochen. So wird aus einer sich spontan solidarisierenden Menschenmenge, ein „im Gleichschritt marschierenden“ Mob und ein Angeklagter willkürlich zum Rädelsführer stilisiert. Dem anderen, der laut eines Zeugen an jenem Abend nicht einmal vor Ort war, wird vorgeworfen, er habe mit einer Holzlatte, an die sich kein Mensch außer einer einzigen Polizistin erinnern kann, bewaffnet eben jener Polizistin gedroht. Selbst in der Anklageschrift ist zu keinem Zeitpunkt von physischer Gewalt die Rede – eher wird die verbale Unmutsbekundung gegenüber der Polizei zum Widerstand konstruiert.
Die politische Motivation der Ermittlungs- und Prozessführung war von Anfang an klar erkennbar. Beispielhaft hierfür steht die Ermittlung des Staatsschutzes. Der ältere Angeklagte wurde auf einer Lichtbildvorlage identifiziert, auf der acht völlig unterschiedlich aussehende Männer über 50 zu sehen waren, die vom Staatsschutz der linken Szene zugeordnet werden. Die Devise dabei lautete wohl, wie einer der Anwälte kommentierte, dass es schon keinen falschen treffen werde, egal auf wen die ZeugInnen zeigen. Bei dem jüngeren Angeklagten verlief die Identifitierung noch zweifelhafter. Aufgrund einer Personenbeschreibung einer einzigen Polizistin (diejenige, die eine Holzlatte gesehen haben will) legte der Staatsschutz den BeamtInnen drei Blöcke mit jeweils acht Fotos von unterschiedlichen Menschen vor.
Die Personenbeschreibung der Polizistin ist äußerst vage: groß, Piercings, kein Bart. Das hinderte den Staatsschutz aber nicht daran, 24 Bilder von Menschen aus ganz Bayern herauszukramen, unter denen auch der eine Angeklagte war. Er war in seinem Block die einzige Person ohne Bart. Das gezeigte Foto war zum Ermittlungszeitpunkt acht Jahre alt.
Die Polizistin zeigte sich dann im Prozess jedoch sicher – der muss es gewesen sein. Dass der Betroffene an jenem Abend nicht einmal vor Ort war wurde von einem Zeugen glaubhaft ausgesagt.
Die Glaubwürdigkeit der Aussage der Polizistin hingegen hätte das Gericht spätestens bei ihrer Vernehmung anzweifeln können. Ihr Lebenspartner, selbstredend auch Polizist, saß in der ersten Verhandlungshälfte im Zuschauer-Bereich und hörte relevante Aussagen von vorhergehenden ZeugInnen mit. Dass das Paar die Mittagspause zu einem gemeinsamen Essen nutzte und die Polizistin direkt anschließend ihre Aussage machte, interessierte den Richter und die Staatsanwaltschaft nicht – schließlich hätten sie „nichts Inhaltliches über die Verhandlung besprochen”. Denn wie der Prozess ausgehen sollte stand zu diesem Zeitpunkt schon fest. Zu groß ist das Politikum Jamnitzer Platz, zu groß waren Verfolgungs- und Verurteilungswille.
Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Urteilsforderung betont, es gehe um Prävention und dass am Jamnitzer Platz keine No-Go-Area entstehen dürfe. Deswegen müsse der Staat mit voller Härte zurückschlagen. Dabei ist das einzige, das den Jamnitzer Platz zur No-Go-Area machen könnte die massive kontinuierliche Polizeipräsenz! Und der beschworene rechtsfreie Raum scheint eher in Gerichtssälen und Polizeirevieren zu finden sein!
Der Richter folgte mit seinem Urteil im Wesentlichen den Forderungen des Staatsanwaltes. Er verurteilte den Angeklagten, der angeblich eine Holzlatte in der Hand gehalten haben soll, zu 18 Monaten Haft und den anderen Angeklagten, dem zur Last gelegt wurde, PolizeibeamtInnen angeschrien zu haben, zu 15 Monaten Haft. Beide Strafen wurden nicht zur Bewährung ausgesetzt.
Während solche Schauprozesse geführt werden, um das Ego der Polizei aufzupolieren und Linke mit Repression zu überziehen, weigert sich der Staat den NSU-Komplex aufzulösen. In den staatlichen Gewaltorganen wie Bundeswehr und Polizei offenbart sich ein rechtsmilitantes Netzwerk nach dem Anderen. Polizeiliche Gewaltorgien und extrem rechte Strukturen in der Polizei werden als Einzelfälle abgetan. Alternative Fakten sind ein bewährtes Mittel der Politik um den Blick der Öffentlichkeit zu verstellen.
Obwohl ein Skandal in der Polizei den anderen jagt, wird diese durch das PAG mit immer mehr Befugnissen ausgestattet und die Grenze zwischen Geheimdiensten und Polizei verwischt. Zeitgleich werden unsere Rechte beschnitten und schon die kleinsten Widersprüche, wie die Aufforderung an die Polizei, sich zu verpissen, werden mit Gefängnis vergolten. Es ist eine offene Vorbereitung des Staates auf sich zuspitzende gesellschaftliche Missstände. Probanten für den verschärften Kampf gegen die eigene Bevölkerung sind vorerst hauptsächlich politische GegnerInnen. Doch fehlt nicht mehr viel, dass jedes Fußballspiel einer Militärparade gleicht, bei Jugendlichen sofort zugeschlagen wird und Streiks und GewerkschaftlerInnen kriminalisiert werden.
Da wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Denn von den Zuständen betroffen sind wir alle! Zeigt euch solidarisch und kämpft für unser aller Rechte und Freiheit. Nur durch gemeinsamen Kampf konnten wir sie erringen – nur durch gemeinsamen Kampf können wir sie erhalten.
Wir können und wollen die Zuspitzung der Zustände nicht hinnehmen und freuen uns über die Unterstützung der Kampagne #Jamnitzer #SolidaritaetGegenPolizeistaatl ichkeit z.B. durch Solidaritätsbekundungen und Veröffentlichungen.
Denn gemeint sind wir alle! Unsere Solidarität gegen ihre Repression!
Für die beiden Genossen wurde bei der Roten Hilfe ein Solikonto eingerichtet:
Rote Hilfe Nürnberg
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Einige Links zu Interviews, u.a. mit den Strafverteidigern:
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Soli-Shirts können bei black mosquito erworben werden.
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Übernommen von Prolos Nürnberg