Kein Holocaust-Gedenken mit der AfD – am 25.01. nach Marzahn!
Am 25.01. veranstaltet der Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf auf dem örtlichen Parkfriedhof ein Gedenken anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung vom Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee. Wie bereits im vergangenen Jahr ist auch die AfD zu der Veranstaltung eingeladen. Ein Gedenken an die Opfer des NS-Faschismus mit einer neofaschistischen Partei ist eine Schande. Dies gilt es mit einem gemeinsamen antifaschistischen Gedenken zu verhindern – auch wenn der Bezirk droht, Kritiker*innen mit Bullengewalt räumen zu lassen! Der folgende Text ist eine Vorbereitung auf die möglicherweise anwesenden AfD’ler*innen bei der Veranstaltung am 25.01.2020 sowie eine kurze Aufarbeitung der menschenverachtenden Politik des Bezirksverbands der Partei.
The same prodcedure as last year?
Die offizielle Beteiligung der AfD am bezirklichen Gedenken ist leider keine Neuheit. Die Partei kann seit 2017 einen Kranz ablegen. Allerdings kam es im letzten Jahr zu ersten Protesten. Durch ein beherztes Einreihen zahlreicher Antifaschist*innen in die Veranstaltung vor Ort, an dem sich neben Bezugsgruppen auch anwesende Vertreter*innen des VVN-BdA beteiligten, konnte eine Kranzniederlegung der AfD verhindert und gleichzeitig ein kraftvolles Zeichen einer aktiven antifaschistischen Gedenkarbeit gesetzt werden. [1] Für die AfD war dieser Friedhofsverweis eine derbe politische Niederlage, die sie versuchten in mehreren Beiträgen, einem Antrag im Bezirksparlament sowie einem Antrag auf Landesebene im Abgeordnetenhaus zu skandalisieren – ohne nachhaltigen Erfolg. Insgesamt diente die Intervention nicht dazu, das „Stille Gedenken“ des Bezirks zu stören oder zu blockieren. Vielmehr soll eine aktive Haltung der Bezirkspolitiker*innen gegen die AfD eingefordert werden. Viel zu oft verbleibt Gedenkpolitik bei der notwendigen Erinnerung an die Opfer, ohne die gesellschaftspolitischen Strukturen und Zustände, die erst zu ihrem Leid geführt haben, zu thematisieren. Deswegen kann auch eine neofaschistische Partei, wie die AfD, an einem solchen Gedenken teilnehmen, da die organisierenden Strukturen die ideologischen Kontinuitäten nicht wahrhaben wollen. Das Gedenken an die Opfer des deutschen Faschismus darf nicht zur Plattform einer politischen Inszenierung der neuen Faschist*innen werden.
Obwohl die AfD nach außen beteuert, ein ehrliches Interesse am Gedenken zu haben, sind ihr die Betroffenen egal. So standen 2019 AfD-Politiker*innen auf den Grabplatten der in Marzahn ermordeten Zwangsarbeiter*innen, während sie vorgaben, an sie erinnern zu wollen. [2] Wenn es der Bezirk Marzahn-Hellersdorf nicht schafft, die AfD von der offiziellen Gedenk-Veranstaltung zu entfernen, müssen wir es selbst tun.
Im letzten Jahr war ein großer Teil der Fraktion aus der Bezirksverordnetenversammlung anwesend, darunter Joachim Nedderhut, Maria Arlt, Rolf Keßler, Bernd Lau sowie der Bürgerdeputierte Michael Schuster und Gunnar Lindemann. [siehe Fotos] Als besondere Provokation ist darüber hinaus die Teilnahme des stellvertretenden Sprechers der BVV-Fraktion, Bernd Pachal, zu bewerten. Noch im Jahr 2016 lobte er auf Facebook die „kluge Politik des Reichsprotektors Reinhard Heydrich“, der u.a. als einer der Organisatoren der Wannsee-Konferenz gilt. Auch Gunnar Lindemann ist bei einer Holocaust-Gedenkveranstaltung absolut fehl am Platz.
Der Parlamentarier im Berliner Abgeordnetenhauses ist bekennendes Mitglied des ultra-rechten „Flügels“ der Partei. Er besuchte besuchte in der Vergangenheit Treffen mit dem Faschisten und Geschichtsrevisionisten Björn Höcke oder organisierte selbst Veranstaltungen mit Höcke und dem HDJ-Sympathisanten Andreas Kalbitz (z.B. im Restaurant „Mittelpunkt der Erde“ in Hönow am 09.09.2017). [3] Zuletzt geriet Lindemann in die Schlagzeilen als sein Sohn in der Schule vermeintlich „gemobbt“ wurde.
Der Grund waren social-media-Posts von einer Russland- und Donbass-Reise mit seinem Vater, auf denen Gunnar Lindemann und sein Sohn Nazi-Andenken abfeiern. [4] Gemeinsam mit weiteren AfD’ler*innen des Bezirksverbandes nahm Lindemann Ende 2019 auch am sog. „Weihnachtssingen“ von PEGIDA in Dresden teil. Mit dabei war auch Jeanette Auricht, die wie Lindemann für die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, den „Flügel“ unterstützt und auf zahlreichen Veranstaltungen der Gruppe zugegen ist.
Auricht war zuletzt 2017 beim Gedenken in Marzahn anwesend, sodass ihre Teilnahme in diesem Jahr nicht ausgeschlossen werden kann. Gleiches gilt für Thomas Braun, dessen Beteiligung besonders brisant wäre. Der AfD’ler Braun ist als Stadtrat der AfD-Fraktion in der BVV momentan geschäftsführender Bürgermeister des Bezirks, da die eigentliche Bürgermeisterin Dagmar Pohle von der LINKEN operiert wird.
Es ist durchaus denkbar, dass sich Bürgermeister Braun mit den Höcke-Sympathsant*innen, Neonazi-Freund*innen und Antisemit*innen seiner Partei den Weg zum Gedenken provokativ von den Bullen frei prügeln lässt.
The same procedure as every year!
Doch wie konnte es soweit kommen? Das Gedenken an die Opfer des deutschen Faschismus wird in Marzahn-Hellersdorf von zwei Akteur*innen organisiert. Das ist zum einen die Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Maßgebliche Verantwortung übernimmt dabei die BVV-Vorsteherin Kathrin Henkel (CDU). Die Ehefrau des ehemaligen Berliner Innensenators und anti-linken CDU-Hardliners Frank Henkel steht ihrem Mann ideologisch kaum nach. Von einer rechten CDU’lerin ein Verständnis für die Gefahren neofaschistischer Politik zu verlangen, wäre wohl zu viel verlangt. Auf der anderen Seite wird die Organisation des Gedenkens vom sog. „Heimatverein Marzahn“ übernommen. Dessen Vorsitzender Wolfgang Brauer saß von 1999 bis 2016 für die PDS, später LINKE im Abgeordnetenhaus und konzentriert sich nach dem Verlust des Direktmandates (an Lindemann) auf die Vereinsarbeit. Der „Heimatverein Marzahn“ ist im Bezirk stark vernetzt und ein wichtiger politischer Akteur, dem zahlreiche Firmen (u.a. Wohnungsbaugesellschaften), Politiker*innen unterschiedlicher Parteien und Einzelpersonen angehören. Obwohl die Satzung „ein aktives Vertreten von rassistischem, fremdenfeindlichem, chauvinistischem, nationalistischem und Gewalt verherrlichendem Gedankengut“ als Widerspruch zur Vereinsarbeit definiert, finden sich mit Gunnar Lindemann, Rolf Kessler und Jörn Geißler trotzdem mindestens drei AfD’ler aus dem Bezirk auf der Mitgliederliste. Außerdem hat Bernd Pachal 2018 auf der Jahreshauptversammlung des Heimatvereins gesprochen, ohne im Protokoll als Gast vermerkt zu sein, was ebenfalls eine Mitgliedschaft nahelegt.
Für die AfD ist die Arbeit im Heimatverein von doppelter Bedeutung. Sie kann sich erstens als normale Partei präsentieren und zugleich Kontakte in nicht-faschistische Kreise ausbauen. Zweitens sind gerade Heimatvereine ein Ort, um eine lokale Identität zu prägen, was dem völkischen Programm der Partei entgegenkommt. Zugleich beklagt der Heimatverein seit Jahren das Fehlen aktiver Mitglieder, sodass durch den Eintritt von AfD’ler*innen die Vereinsarbeit unterwandert und schlussendlich im Sinne der Partei bestimmt werden kann. Dementsprechend ist auch von der zweiten organisierenden Struktur des Gedenkens keine Ausladung der AfD zu erwarten, um die eigene Arbeit im Verein nicht in Frage stellen zu müssen.
Jetzt erst recht
Der Bezirk hatte nach der Intervention 2019 ein Jahr Zeit, die Gedenkpolitik zu ändern und beispielsweise dem Heimatverein die Organisationshoheit zu entziehen oder zumindest eine Ausschlussklausel gegen rechte Akteure in die Einladung einzufügen. Trotz der vielen verständnisvollen Worte für die antifaschistische Intervention im Nachgang ist original nichts geschehen. Deshalb ist die Situation nun dramatischer denn je. Auf der einen Seite weigern sich die Organisierenden, die AfD vom offiziellen Gedenken an die Opfer des Holocaust auszuladen. Auf der anderen Seite drohen sie offen damit, Antifaschist*innen mit zwei Bullenhundertschaften vom Friedhof räumen zu lassen. Dies könnte insbesondere die solidarischen Mitglieder des VVN-BdA treffen, sodass die Nachkommen von Opfern des deutschen Faschismus oder noch selbst Betroffene vom Holocaust-Gedenken ferngehalten werden, während Neofaschist*innen einen Kranz ablegen können. Für die AfD in Marzahn-Hellersdorf wäre das ein politischer Erfolg, nachdem sie schon den skandalösen Entzug der Gemeinnützigkeit des VVN-BdA gefeiert hat und dies als späten Triumph wegen der Ereignisse beim Gedenken 2019 darstellte. Dieses absurde und unwürdige Theater dürfen wir nicht zulassen.
Der Bezirksverband der AfD in Marzahn-Hellersdorf ist einer der rechtesten in ganz Berlin und wird maßgeblich von „Flügel“-Mitgliedern geleitet, die national mit allen Führungsfiguren vernetzt sind. So war der AfD-Stadtrat Thomas Braun 2018 Gast auf dem Jahresempfang der Thüringer AfD und ließ sich strahlend mit Björn Höcke fotografieren. AfD-Mitglieder aus Marzahn-Hellersdorf besuchen und organisieren regelmäßig Veranstaltungen mit Neofaschist*innen und ganze Delegationen des Verbandes fahren bundesweit zu Neonazidemonstrationen, wie z.B. 2018 zu „Zukunft Heimat“ in Cottbus oder zur AfD-Großdemo im Herbst 2018 in Chemnitz, die in rassistischen Ausschreitungen endete. Es geht somit beim antifaschistischen Gedenken nicht darum, irgendwelche AfD-Mitläufer anzugehen, sondern den harten neofaschistischen Kern der Partei von der Veranstaltung auszuschließen. Von den Organisierenden, dem Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf und dem Heimatverein, ist eine solche Haltung aufgrund falsch verstandener demokratischer Toleranz oder engen Verknüpfungen mit der AfD nicht zu erwarten. Leider duckt sich auch die LINKE im Bezirk zunehmend weg. Während 2017 die Politik der AfD zumindest noch mit einer klaren Rede angeprangert wurde, ist davon inzwischen nichts mehr zu sehen oder zu hören. Obwohl die Partei in der BVV die meisten Mitglieder und auch die Bürgermeisterin stellt, scheinen die LINKEN-Verordneten vor der AfD resigniert zu haben und warten nur noch darauf, dass die Neofaschist*innen bei der nächsten Wahl 2021 die Bezirksregierung übernehmen. Wie das Gedenken an die Holocaust-Opfer dann aussieht, wollen wir uns gar nicht ausmalen. Deswegen müssen wir jetzt schon handeln!
Kommt am 25.01.2020 um 11:00 Uhr zum Gedenken auf dem Marzahner Parkfriedhof an der Gedenkstele für die Opfer von Zwangsarbeit (Haupteingang: Wiesenburger Weg 10; am S Marzahn) oder nutzt den Vortreffpunkt um 10:00 Uhr am S-Bahnhof Ostkreuz am Gleis der S7 Richtung Marzahn. Neueste Infos auf: keinraumderafd.blogsport.de
Aufruf zum „Antifaschistischen Gedenken“: keinraumderafd.blogsport.eu/2019/12/28/antifaschistisches-gedenken-in-marzahn-geht-nur-ohne-die-afd/
Und als Motivation zum Abschluss noch ein paar weinerliche Einsichten von enttäuschten AfD’ler*innen zum erfolgreichen antifaschistischen Gedenken 2019
„Der 26. Januar diesen Jahres wird zu den schwarzen Tagen von MaHe gezählt werden. Ich will hier gar nicht auf die gewaltbereiten Gestalten der roten SA eingehen, die als selbsternannte Religionswächter eine Gedenkfeier für die Opfer der Nationalsozialisten auf dem Marzahner Parkfriedhof sprengten und die Totenruhe massiv störten.“ (der BVV-Vorsitzende der AfD Joachim Nedderhut in der BVV-Sitzung am 21.02.2019)
„Da bildeten Jugendliche einen antifaschistischen Schutzwall, legten willkürlich fest, hier auf der Seite sind die Faschisten und hier sind die Antifaschisten!“ (Beitrag von Maria Arlt in der BVV-Sitzung vom 21.02.2019)
„Diese Truppe, die sich durch die mitgeführten Transparente als Elemente der Antifa outete, umstellte das Denkmal mit ihren Transparenten. […] Die Mitglieder unserer Partei wurden durch Drängeln und Schubsen daran gehindert, zwischen den Transparenten zur Stele zu gelangen. […] Die nur mit schwachen Kräften anwesende Polizei setzte in diesem Fall Recht und Ordnung nicht durch und unterstütze uns nicht bei unserem Anliegen und bei der Beendigung dieser Straftat, die den Tatbestand der Nötigung erfüllt.“ (Beitrag auf der Seite der BVV-Fraktion)
Nachweise
[1] Bericht vom Gedenken 2019: de.indymedia.org/node/28558
[2] Gunnar Lindemann tritt das Gedenken an die Opfer der NS-Zwangsarbeit mit Füßen: www.flickr.com/photos/florianboillot/33009166708/in/album-72157706093809595/
[3] Lindemann und Auricht und viele andere Mitglieder der Marzahner AfD beim „Wahlkampftag“ der Partei am 09.09.2017 in Hönow: www.flickr.com/photos/144260666@N08/albums/72157685796303441
[4] Tagesspiegel-Artikel zu Lindemanns Sohn: www.tagesspiegel.de/berlin/maschinengewehr-hakenkreuze-und-nachtwoelfe-die-skurrilen-urlaubsbilder-des-afd-politikers-gunnar-lindemann/25224352.html
Quelle: keinraumderafd.blogsport.eu/2020/01/20/kein-holocaust-gedenken-mit-der-afd-am-25-01-nach-marzahn/