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[Junge Welt] Zweierlei Recht

Es hätte wohl jeden von ihnen treffen können – Massenprotest gegen die Urteile des Nationalen Gerichtshofs gegen acht baskische Jugendliche, die sich im Herbst 2016 eine Auseinandersetzung mit zwei Beamten der Guardia Civil geliefert hatten (Pamplona, 15.6.2018) Foto: AP Photo/Alvaro Barrientos

Zweierlei Recht
Die jüngste Verurteilung einiger baskischer Jugendlicher zu hohen Haftstrafen und die Anklagen gegen katalanische Politiker verdeutlichen den politischen Charakter der Justiz in Spanien – der Feind steht links
Von Krystyna Schreiber

Am frühen Morgen des 15. Oktober 2016 kommt es in Altsasu (spanisch: Alsasua) im nordspanischen Baskenland während des jährlichen Dorffestes in einer Kneipe zu einer Schlägerei zwischen mehreren Jugendlichen und zwei Beamten der Guardia Civil. Schadenbilanz: eine dicke Lippe und ein gebrochener Knöchel. Soweit nichts Ungewöhnliches in einem Land wie Spanien, in dem es allein im Jahr 2016 zu 9.571 Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Bürgern kam, die als Widerstand gegen die Staatsgewalt eingestuft wurden. Auch im baskischen Fall wird eine solche Klage bei den örtlichen Behörden eingereicht.

Doch dann ereignete sich Unerwartetes: »Wir bekamen Angst, als wir sahen, was bestimmte spanische Zeitungen und auch das Fernsehen aus dem Fall, in den unsere Kinder involviert waren, machten. Man behauptete, unser Dorf Altsasu sei gespalten, dass sich hier die Beamten der Guardia Civil nicht frei bewegen könnten, ohne von den Bürgern beschimpft zu werden. Man beschrieb eine Situation extremer Gewalt, die mit der Realität vor Ort nichts zu tun hat. Die Presse bereitete das Terrain vor, für das, was danach kam«, erklärt Bel Bozueta, Mutter des inzwischen 23jährigen Adur, einem der acht Verurteilten in diesem Fall. Adurs Anwältin, Jaione Karrera, beschreibt den Fortgang der Ereignisse: »Wenige Wochen nach der Prügelei reichte eine Organisation für Terrorismusopfer Klage bei der Audiencia Nacional in Madrid ein. Das Nationalgericht ist nur für besonders schwere Verbrechen zuständig wie Terrorismus, und die Urteile beinhalten immer sehr hohe Haftstrafen«. Tatsächlich versucht man, eine Verbindung der baskischen Jugendlichen zu einer Bewegung herzustellen, die den Rückzug der Guardia Civil aus dem Baskenland verlangt – und damit indirekt mit der baskischen Organisation Euskadi Ta Askatasuna (Baskenland und Freiheit, ETA).

Ein Fall von Terrorismus
»Wir haben mehrfach dargelegt, dass es nie Beweise gab, dass einer dieser Jugendlichen Teil einer solchen Bewegung ist. Solche Prügeleien passieren jedes Wochenende im ganzen Land, teilweise mit Waffen, mit Baseballschlägern, schwerere Verletzungen sind die Folgen. Keiner der Fälle ist jemals vor einem Sondergericht gelandet«, so die Anwältin. Auch die zuständigen Gerichte im Baskenland begründen in einem Gutachten, dass keine Indizien für Terrorismus vorliegen und der Fall lokal verfolgt werden müsse. Doch Madrid insistiert. Der Kompetenzstreit geht vor den Obersten Gerichtshof. Dieser schließt Terrorismus nicht aus und übergibt den Fall an Carmen Lamela am Nationalgericht, der gleichen Richterin, die ein Jahr später den Kandidaten für das Amt des katalanischen Regionalpräsidenten Jordi Sànchez sowie den Vorsitzenden der katalanischen Organisation Òmnium Cultural Jordi Cuixart unter dem Vorwurf der »Rebellion« in Untersuchungshaft nimmt.

Die Familien von Alsasu beobachten die Ereignisse mit Enttäuschung und Angst: »Die Guardia Civil hat ein großes Gewicht und eine dunkle Geschichte. Wir haben diese Polizeitruppe im Baskenland zu Zeiten von ETA erlebt, das war schlimm. Und wir haben von Anfang an gesehen, dass es ein politisches Interesse gab, aus unserem Fall etwas sehr Großes zu machen«, erklärt Adurs Mutter. Was sie am meisten entsetzt, ist ein Tweet des damaligen spanischen Premiers, Mariano Rajoy, in dem er versichert, dieser Angriff auf die Guardia Civil werde nicht ungesühnt bleiben. Am frühen Morgen des 14. November stehen Beamte vor ihrer Haustür und nehmen ihren Sohn mit. Auch sieben weitere seiner Freunde werden festgenommen.

Die Anklage lautet auf Terrorismus. Der Generalstaatsanwalt verlangt für sieben der Beschuldigten zwischen 50 und 61 Jahre Haft, eine junge Frau soll zwölf Jahre hinter Gitter. »Es gab eine sehr kurze Untersuchungsphase. Man nahm die Aussagen unserer Mandanten beim Nationalgericht auf und steckte sie wegen angeblicher Fluchtgefahr in der Nähe von Madrid ins Gefängnis. Drei von ihnen blieben bis zum Urteilsspruch in Haft, 19 Monate lang, und zwar unter den Sonderbedingungen, die für Terroristen gelten«, so Jaione Karrera. Die Mutter von Adur beschreibt, was das für den damals 21jährigen angehenden Lehrer und Musiker bedeutete: »Jede Kommunikation wurde kontrolliert. Sie durften nicht an Aktivitäten im Gefängnis teilnehmen. Sie unterlagen strengsten Kontrollen des Sicherheitspersonals. Wir beantragten ein Gespräch mit einem Psychologen, denn die ersten Monate waren sehr hart für unseren Sohn. Das war im August 2017, der Psychologe sah ihn zum ersten Mal im Juni 2018.«

Kein fairer Prozess
Adurs Anwältin ist überzeugt, dass die Justiz gegenüber ihrem Mandanten voreingenommen ist. »Es wäre nicht zu dieser unverhältnismäßigen Anklage und Untersuchungshaft gekommen, wären die Beschuldigten nicht aus dem Baskenland. Das ganze Verfahren wirkte komplett anachronistisch.« ETA hatte 2011 die Waffen niedergelegt, zu dem Zeitpunkt waren die Angeklagten noch minderjährig. »Alle unsere Beweise wurden abgelehnt. Es zählte nur der Bericht der betroffenen Beamten der Guardia Civil. Wir durften keine Dokumente, Videos, nicht mal objektive Beweise wie einen Lageplan der Bar einreichen, um wenigstens eine andere Version als die der Anklage darzustellen.« Auch wurden keine Beweise der Verteidigung zugelassen, die sich auf die politische Situation im Dorf bezogen, obwohl ein Teil der Klage wegen Terrorismus genau darauf beruhte.

Doch es kommt noch schlimmer. Im Februar 2017 erfährt die Verteidigung, dass eine der zuständigen Richterinnen, die Ehefrau eines Offiziers der Guardia Civil und Ordensträgerin der Militärpolizei ist. Trotzdem wird ein Befangenheitsantrag abgelehnt.

Die am 1. Juni gefällten Urteile fallen dementsprechend hart aus. Zwar spricht das Nationalgericht aus Sorge, das Verfahren könne später annulliert werden, die Angeklagten vom Vorwurf des Terrorismus frei. Verurteilt werden die Jugendlichen aber schließlich wegen Körperverletzung, Störung der öffentlichen Ordnung und Angriffen auf die Staatsgewalt. Drei der Angeklagten erhalten das maximale Strafmaß von 13 Jahren, die anderen neun Jahre, eine der Jugendlichen zwei Jahre. Die Verteidigung geht in Berufung. Trotzdem werden alle Verurteilten wenige Tage nach dem Urteilsspruch von der Guardia Civil in Haft genommen.

Die Familien protestieren ob der unverhältnismäßigen Strafen und zahlreichen Unregelmäßigkeiten. Tausende von Menschen auch aus anderen Teilen Spaniens kommen ins Baskenland, um mit ihnen auf die Straße zu gehen. »Es gab keine Unschuldsvermutung. Es gab von Anfang an stets nur die Version der Anklage, nicht die der Verteidigung«, resümiert die Anwältin Karrera. Außerdem wurden die Angeklagten schon während der Untersuchungshaft fast 400 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt inhaftiert. Diese Zerstreuungspolitik wird bei baskischen Gefangenen schon jahrzehntelang praktiziert, seit letztem Herbst auch im Fall der festgenommenen katalanischen Separatisten. Bel Bozueta, Adurs Mutter, sieht vor allem eine politische Motivation hinter dem Urteil: »Die Guardia Civil ist ein wichtiges Element der Einheit Spaniens, sie gilt als Säule der spanischen Nation. Und obwohl die Anschuldigung des Terrorismus nicht aufrechtzuerhalten war, haben wir gerade heute im Fernsehen gesehen, wie man trotzdem noch immer in diese Richtung argumentiert, so dass der normale spanische Bürger weiterhin glaubt, unsere Kinder seien auf irgendeine Weise doch Terroristen. Es gibt eine ganz klare Absicht hinter den Urteilen, und das ist Rache.« Hier sieht Bel auch Parallelen zu den inhaftierten katalanischen Aktivisten und Politikern, in beiden Fällen zeige sich, dass es in Spanien keine funktionierende Gewaltenteilung gebe.

Die Guardia Civil ist nicht irgendeine Polizeitruppe. Die kasernierte Einheit (Wahlspruch: »Ehre ist meine Devise«), die sowohl militärische als auch zivile Funktionen wahrnimmt, war eines der Repressionsinstrumente des Diktators Francisco Franco. Ihr wird vielfach Folter vorgeworfen – Beamte der Guardia Civil in Segovia (13.1.2010) Foto: EPA/CHEMA MOYA

Lange Untersuchungshaft
Auch die katalanischen Familienangehörigen und Anwälte beklagen Unverhältnismäßigkeiten in bezug auf die Untersuchungshaft sowie Verfahrensfehler. Der ehemalige Außenminister der Regierung Puigdemont, Raül Romeva, ist das zweite Mal innerhalb weniger Monate in Haft. Erst Mitte Juni hat das Oberste Gericht Spaniens die Anklage gegen ihn und 14 weitere katalanische Politiker wegen Rebellion und Aufruhr bestätigt. Darauf stehen jeweils 30 bzw. zwölf Jahre Gefängnis. »Rebellion bedeutet in Spanien Gewaltanwendung, aber mein Mann hat nicht einen Stein in die Hand genommen«, sagt Diana Riba, die Ehefrau Romevas. Sie moniert, dass die angeklagten katalanischen Regierungsmitglieder kaum Zeit gehabt hätten, sich ordnungsgemäß mit ihren Anwälten abzusprechen. Txell Bonet, Partnerin von Jordi Cuixart, der seit acht Monaten im Gefängnis sitzt, ist überzeugt, dass es keinen fairen Prozess geben wird. »Es ist wie mit dem Fall von Altsasu: Sie verlangen maximale Strafen, um sie wegzusperren. Am Ende werden sie vielleicht nicht wegen Rebellion verurteilt werden, vielleicht wird das Strafmaß niedriger sein als im Fall der baskischen Jugendlichen. Aber sie werden verurteilt werden, obwohl es keine Gewalt gab.«

Jaume Alonso-Cuevillas vertritt einige der katalanischen Politiker im Exil, darunter Carles Puigdemont. Alonso-Cuevillas ist seit 35 Jahren als Anwalt tätig und Lehrstuhlinhaber für Strafrecht an der Universität Barcelona. »In Spanien wird die Untersuchungshaft generell unverhältnismäßig als als eine Art vorzeitige Strafe angewendet. In unseren Fällen ist klar, dass es um Abschreckung geht. Kein Baske oder Kanare soll auf die Idee kommen, den Katalanen nachzueifern.« Genau wie die baskische Anwältin Jaione Karrera, ist Alonso-Cuevillas überzeugt, dass die Grundrechte auch seiner Mandanten verletzt wurden. Zudem sei ihm die Verteidigung schwergemacht worden: »Wir wurden sehr kurzfristig benachrichtigt, dass die Beschuldigten aufgrund einer Anklage wegen Rebellion, die im Fall einer Verurteilung 30 Jahre Gefängnis bedeuten könnte, schon am nächsten Tag um neun Uhr in Madrid vorgeladen sind, also 650 Kilometer entfernt. Ich erhielt Unterlagen im Umfang von 150 Seiten, aber es waren keine Beweisdokumente beigefügt.« Der katalanische Anwalt beklagt auch den Missbrauch des Strafrechts: »Man könnte sagen, es handelt sich um Ungehorsam, aber nicht um Rebellion. Natürlich ist die Störung einer verfassungsrechtlichen Ordnung mittels Gewalt überall eine Verbrechen. In Spanien geschah das am 23. Februar 1981 beim Putschversuch der Guardia Civil oder bei Francos Militärputsch 1936. Aber hier gab es keine Gewalt, sondern einen demokratischen Prozess. Das Problem ist, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Oberste Gericht sich als Opfer sehen. Und deshalb wird nicht mit Objektivität geurteilt«, meint Alonso-Cuevillas.

Konservative Richterschaft
Joaquín Urias, ehemaliger Richter am spanischen Verfassungsgericht und Professor für Verfassungsrecht an der Universität von Sevilla, ist nicht der Meinung, dass diese Verfahren gegen Basken oder Katalanen ein Problem fehlender Gewaltenteilung sind. Dennoch gibt er dem katalanischen Anwalt recht in bezug auf die Objektivität: »In Spanien machen die Richter zwar nicht, was ihnen die Regierung sagt. Aber das Problem ist, dass die Richter selbst eine bestimmte Ideologie vertreten. Es ist kein Problem der Unabhängigkeit der Justiz, sondern ihrer Neutralität.« Das betrifft vor allem die obersten Gerichte Spaniens, an denen die Richter vom Staat bestimmt werden. Hier herrschen konservative Positionen vor. Für Urias ist der Fall von Altsasu ein typisches Beispiel: »Es gibt einen Konflikt zwischen einem Polizisten und einem Bürger. Der Richter gibt stets, ich betone: stets, dem Polizisten recht. Das muss einem schon Angst machen.« Aus seiner Sicht müssten die Richter in einem demokratischen Staat die Bürger vor dem Staat schützen, aber in Spanien schützten die Richter die Staatsmacht vor dem Bürger. »Immer wenn es einen Konflikt zwischen einem Bürger und einem Polizisten gibt, auch wenn der Polizist die Tat begangen hat, entscheiden die Richter im Sinne des Polizisten.« Gerade im Fall der Gruppenvergewaltigung des sogenannten Wolfsrudels (»La Manada«) in Pamplona vom Juli 2016, der landesweit Proteste auslöste, weil die Richter zwar sexuellen Missbrauch anerkannten, aber keine Vergewaltigung und die Angeklagten deshalb für den Zeitraum des Berufungsverfahrens freiließen, sei auffällig, dass zwei der Beteiligten Angehörige der Armee bzw. der Polizei sind.

Als Ursache dafür sieht der Verfassungsrechtler an erster Stelle die »Transition«, wie der Übergangs zur Demokratie seit 1978 in Spanien bezeichnet wird. »Im Gegensatz zu Deutschland, wurde die Justiz nach der Diktatur überhaupt nicht verändert. Wir stimmten nach Francos Tod für eine neue Verfassung, aber die gleichen Richter, die bis 1975 die franquistischen Gesetze, also direkt faschistische Gesetze, angewendet hatten, sollten nun diese Verfassung anwenden. Deshalb dauert es sehr lange, bis die Rechte und Werte der Verfassung in der spanischen Justiz Fuß fassen konnten.« Ein großes Problem sei zudem die Ausbildung. »In anderen Ländern verbringen angehende Richter Zeit mit realen Fällen, sie assistieren, sie sehen etwas vom Leben. In Spanien muss man nur mindestens fünf Jahre lang studieren und viel Geld haben, um einen teuren Tutor bezahlen zu können«, erklärt Urias. Der soziale Hintergrund der Richter sei sehr homogen. Auch das trage zur mehrheitlich konservativen Ausrichtung der spanischen Richterschaft bei.

Eine weiteres Problem sieht Urias in der Gesetzgebung selbst. Das spanische Strafrecht werde zunehmend ideologischer. »Es ist nicht möglich, bestimmte Gesetze anzuwenden, ohne dass der Richter diese selbst politisch interpretiert, es gibt keine faktische Basis«, warnt er. Ein Beispiel sei das »Gesetz zur Sicherheit der Bürger«, zum Beispiel im Fall von »Hate Speech«. Vor kurzem gab es einen Prozess, weil der Journalist Antonio Maestre von einem Polizisten auf Twitter mit dem Tod bedroht worden war. »Dieser Polizist hat ein Bußgeld von 200 Euro bezahlt. Zugleich wurde der Rapper Valtonyc, der in einem seiner Songs einen Unternehmer auf Mallorca bedroht hatte, zu zwei Jahren Haft verurteilt – auf der Grundlage desselben Gesetzes. Hier sieht man ganz klar: Wenn ein Polizist eine links eingestellte Person bedroht, sagt der Richter ›Na, das ist nicht so schlimm‹, wenn eine links eingestellte Person einen rechts orientierten Unternehmer bedroht, gibt es Gefängnisstrafen.«

Ein Faschist als Opfer
Ein anderes Beispiel ist der Fall von Luis Carrero Blanco, dem designierten Nachfolger Francisco Francos, der 1973 bei einem Attentat der ETA getötet wurde. Weil die Studentin Cassandra Vera auf Twitter einen Witz über den Tod von Blanco gemacht hat, wurde sie zu einem Jahr Haft verurteilt. »Der Richter entschied auf der Grundlage des Artikels 579 des Strafgesetzbuches (»Verherrlichung des Terrorismus«), dass Carrero Blanco ein Terrorismusopfer sei. Das ist so, als ob in Deutschland jemand Hermann Göring bei einem Anschlag getötet hätte und dieser später als Terrorismusopfer anerkannt wird«, meint der Jurist. Wohl nicht zuletzt, weil der »Fall Cassandra« vor dem Europäischen Gerichtshof kaum Bestand gehabt hätte, hob der Oberste Gerichtshof das Urteil im März diesen Jahres wieder auf.

Nach Ansicht von Alonso-Cuevillas zeigen die genannten Fälle, dass die spanischen Justiz unberechenbar sei, was das Vertrauen in die Rechtsprechung schwäche: »Die Justiz muss bis zu einem bestimmten Grad vorhersehbar sein. Aber in Spanien können die Urteile für absolut identische Fälle sehr unterschiedlich sein«. Auch er sieht ein Problem im Strafrecht selbst. »Die schwammige Definition einiger Delikttypen im Strafrecht erlaubt es, aus kleinen Straftaten große zu machen, etwa im Fall des Aufruhrs.«

Parallele zum Kampf gegen ETA
Alonso-Cuevillas warnt vor einer Situation, in der die Bürger dem Staat völlig ungeschützt ausgeliefert sind. Sollten die katalanischen Politiker, die wegen der Durchführung des Unabhängigkeitsreferendums angeklagt sind, verurteilt werden, gäbe es einen Präzedenzfall, und in Zukunft könnte jede Demonstration gegen eine Zwangsräumung, bei der die Polizei ihre Arbeit nicht ausführen kann, als Aufruhr ausgelegt werden. Es sei darüber hinaus verstörend, wenn Carlos Lesmes, Präsident des Generalrats der Justiz, dem obersten Organ der Judikative, die Wahrung der territorialen Einheit des Staates als eine der wichtigsten Aufgaben der spanischen Rechtsprechung bezeichne. »Damit hat man versucht, die Verletzung der vielen Grundrechte zu rechtfertigen, die wir erleben. Die fehlenden Garantien, den Missbrauch der Untersuchungshaft, die Unverhältnismäßigkeit in der Anwendung des Strafrechts. Es zeichnet sie hier ein ähnliches Schema ab, wie im Umgang mit der ETA im Baskenland in der Vergangenheit. Damals meinten die Richter, gegen ETA sei alles gerechtfertigt, auch die Verletzung von Grundrechten. In unserem Fall gab es aber keine Todesopfer«, erklärt der Katalane.

Joaquín Urias bringt es auf den Punkt: »Die spanischen Gerichte verteidigen immer die Macht gegenüber dem Bürger statt die Bürger. Kein aktiver Richter wird das öffentlich zugeben. Die Richter sollten die Rechte und die Menschen schützen, nicht die Staatsmacht. In Spanien machen wir es aber genau umgekehrt.«

Krystyna Schreiber schrieb an dieser Stelle zuletzt am 23. Januar 2018 über Meinungsfreiheit in Spanien.

Quelle: www.jungewelt.de/artikel/335651.zweierlei-recht.html

 


 

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