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Junge Welt: »Dieser Protest ist nur mit breiter Solidarität möglich«

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Christian Schwartz ist Mitglied der North East Antifa (NEA), einer antifaschistischen Gruppe aus Berlin Das Filmprojekt finanziert sich durch Crowdfunding: www.tinyurl.com/afa-filmprojekt

»Dieser Protest ist nur mit breiter Solidarität möglich«

Filmprojekt: Von Kämpfen in Frankreich können Aktivisten viel lernen, etwa Verankerung in Betrieben. Gespräch mit Christian Schwartz

Interview: Claudia Wrobel

Sie haben Dokumentarfilme über antifaschistische Gruppen in Frankreich gedreht, nun machen Sie sich wieder auf den Weg ins Nachbarland. Worum geht es in Ihren Projekten?

Zusammen mit dem Medienkollektiv »Left Report« porträtieren wir antifaschistische, antirassistische und soziale Bewegungen. Erst mal geht es darum darzustellen, was die überhaupt machen, aber in einem zweiten Schritt auch darum, was wir von den Erfahrungen in anderen Ländern lernen können. Seit etwa eineinhalb Jahren waren wir dafür viel in Frankreich unterwegs, weil uns die Ursachen des dortigen Rechtsrucks interessieren. Mittlerweile hat sich der »Front National« als drittstärkste Kraft etabliert. Das ist ein Sinnbild für die Entwicklungen in vielen Ländern Europas.

Die Pläne für das Filmprojekt haben Sie ja schon länger. Inwiefern beeinflussen die anhaltenden Proteste gegen die geplante Arbeitsgesetzgebung diese?

In der BRD wurden schon etliche Sozialabbauprogramme durchgedrückt. Was in Frankreich nun passiert, führt uns vor Augen, wie schwach die Bewegung hier ist. Da wir also in der Position sind, lernen zu müssen, lernen zu wollen, ist es für uns natürlich toll zu sehen, wie Genossen dort versuchen, sich soziale Errungenschaften zu erhalten und nicht darauf vertrauen, dass ihnen Zugeständnisse von oben gemacht werden. Zum Beispiel existiert dort die Protestform »Nuit debout«. Da wollen wir erfahren, was diese Bewegungen genau machen, wie sie zusammengesetzt sind und – für uns besonders spannend – warum gehen solche Konzepte in Frankreich auf, aber hier in Deutschland nicht.

Können Sie schon ein Zwischenfazit ziehen? Warum funktioniert in einem anderen Land, was hier keinen Erfolg bringt?

In der radikalen Linken in der BRD werden die Begriffe »Klasse« oder auch »Klassenkampf« vielerorts kaum genutzt. Aber nur eine kontinuierliche Arbeit in den Betrieben kann langfristig zu breiten sozialen Protestbewegungen führen. Den Beweis sehen wir eben in Frankreich, aber beispielsweise auch in Spanien. Bei uns gibt es aber kaum betriebliche Kämpfe, die über Tarifverhandlungen hinausgehen.

In Diskussionen mit deutschen Aktivisten hört man oft, dass die Verankerung in den Betrieben fehlt. Trotzdem existieren wenig Ideen, wie man das anpacken kann.

Viele radikale Linke sind in Frankreich in Basisgewerkschaften organisiert, die von der Schule bis hin zu Betriebsgruppen ganz anders verankert sind. Im Moment erleben wir es: Im Südosten werden Tankstellen besetzt, Ölraffinerien und Seehäfen blockiert. Das ist nur mit breiter Solidarität möglich, also wenn Diskussionen über Klassenkampf ganz normal zum Alltag unter Kollegen gehören. Dabei vertritt natürlich nicht jeder sofort eine radikal linke Position, aber es ist ein Prozess, der zumindest in Gang gesetzt wurde. Der eigene Betrieb ist für Aktivisten in Frankreich ein ganz normaler Ort, um Politik zu machen – das ist in Deutschland komplett anders.

Welchen Schwerpunkt wird Ihr Projekt haben?

Vor allem vernetzen wir uns mit stadtteilpolitischen Gruppen, aber auch mit der »Action Antifasciste Paris-Banlieue«, das ist eine relativ große Gruppe in Paris und den Vororten. Im vergangenen Jahr haben wir mit dem Film »Une Vie de Lutte« Veranstaltungen zum Gedenken an Clément Méric gezeigt, der Anfang Juni 2013 von Neonazis in Paris ermordet wurde. Mit dem nächsten Projekt wollen wir schauen, wie der Prozess gegen seine Mörder abläuft und anhand dessen den Rechtsruck der Gesellschaft analysieren. Antifaschistischer Protest wird kriminalisiert, und auch die anderen sozialen Kämpfe sollen behindert werden. Die Protestierenden sind starker staatlicher Repression ausgesetzt. Hausprojekte und Gewerkschaftsbüros stehen unter ständiger Observation; mit der Androhung von Haftstrafen sollen einzelne eingeschüchtert werden.

Quelle: www.jungewelt.de/2016/06-04/037.php

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