PEGIDA – Brandstifter in Nadelstreifen (?)
Seit Ende 2014 wird in Deutschland und international über eine neue rechte Massenbewegung diskutiert, die unter dem Label Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA) bundesweit und mittlerweile auch europaweit auftritt. Im Januar 2015 demonstrierten in Dresden rund 17.500 Menschen gegen Muslim*a und Migrant*innen – rund sechs Jahre nachdem Marwa El-Sherbini in einem Dresdner Gerichtssaal von einem bekennenden Islamhasser und Rassisten erstochen wurde. Laut einer Forsa-Umfrage Anfang Januar diesen Jahres teilen deutschlandweit 29 Prozent die antimuslimisch-rassistischen Positionen von PEGIDA, die sich als Protestbewegung in Reaktion auf die Angriffe der Terrororganisation Islamischer Staat gründete. Die tödlichen Anschläge auf Redakteure des Pariser Satiremagazins Charlie Hebdo verliehen PEGIDA zu Beginn des Jahres einen weiteren Auftrieb. Die Wahrnehmung von PEGIDA in den ausländischen Medien ist unterschiedlich. Während Sender wie Al Jazeera zum Teil von einer Art rechter Revolution berichten, wird PEGIDA beispielsweise in Teilen der polnischen Berichterstattung als legitime und progressive Bürger*innenbewegung dargestellt, hinter der die Mehrheit der deutschen Bevölkerung stünde. Mit dem vorliegenden Text wollen wir umreißen, um wen es sich bei PEGIDA und deren Teilnehmer*innen eigentlich handelt, welche Auswirkungen deren Aufmärsche und Propaganda haben und warum einige PEGIDA-Gegner*innen zum Thema Rassismus besser schweigen sollten.
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Seit Ende 2014 wird in Deutschland und international über eine neue rechte Massenbewegung diskutiert, die unter dem Label Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA) bundesweit und mittlerweile auch europaweit auftritt. Im Januar 2015 demonstrierten in Dresden rund 17.500 Menschen gegen Muslim*a und Migrant*innen – rund sechs Jahre nachdem Marwa El-Sherbini in einem Dresdner Gerichtssaal von einem bekennenden Islamhasser und Rassisten erstochen wurde. Laut einer Forsa-Umfrage Anfang Januar diesen Jahres teilen deutschlandweit 29 Prozent die antimuslimisch-rassistischen Positionen von PEGIDA, die sich als Protestbewegung in Reaktion auf die Angriffe der Terrororganisation Islamischer Staat gründete. Die tödlichen Anschläge auf Redakteure des Pariser Satiremagazins Charlie Hebdo verliehen PEGIDA zu Beginn des Jahres einen weiteren Auftrieb. Die Wahrnehmung von PEGIDA in den ausländischen Medien ist unterschiedlich. Während Sender wie Al Jazeera zum Teil von einer Art rechter Revolution berichten, wird PEGIDA beispielsweise in Teilen der polnischen Berichterstattung als legitime und progressive Bürger*innenbewegung dargestellt, hinter der die Mehrheit der deutschen Bevölkerung stünde. Mit dem vorliegenden Text wollen wir umreißen, um wen es sich bei PEGIDA und deren Teilnehmer*innen eigentlich handelt, welche Auswirkungen deren Aufmärsche und Propaganda haben und warum einige PEGIDA-Gegner*innen zum Thema Rassismus besser schweigen sollten.
Deutschland wird islamisiert?1
Seit dem 11. September 2001 ist ein weltweites Erstarken des antimuslimischen Rassismus zu verzeichnen. Legitimiert durch einen vermeintlichen Abwehrkampf der »westlichen Welt« (rechter Kampfbegriff: »Abendland«) gegen eine herbei halluzinierte Bedrohung Seitens »des Islams« (im rassistischen Duktus: »Morgenland«), werden hierbei Muslime*a Zielscheibe für rassistische Vorurteile und Angriffe. »Der Islam« wird hierbei als ein monolithischer Block und ständige Bedrohung verklärt und dient somit als Grundlage für imperiale Angriffskriege, Ausgrenzung und das ständige Schüren von irrationalen Ängsten. Mitte der 2000er Jahre wurde dieses Phänomen auch in Deutschland immer sichtbarer. Während klassische neofaschistische Parteien wie die Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) und Deutsche Volksunion (DVU) noch einen offenen biologischen Rassismus propagierten, bedienten sich protofaschistische Parteien eher kulturrassistischer Elemente und strikter Polit-Konzepte, die »westlichen Werte« und die Kategorie »Kultur« (statt »Rasse«) in den Mittelpunkt stellten. Nach dem Scheitern von Parteien wie Pro Deutschland und Die Freiheit traten und treten nun neue Akteur*innen auf den Plan, welche an der aktuellen Stimmung erfolgreicher ansetzen. In Deutschland und europaweit bedeutete dies konkret, dass zahlreiche Parteien und Bürgerinitiativen gegen Moscheeneubauten hetzten. In Deutschland waren und sind rassistische Blogs wie »Politically Incorrect News« (PI-News) und die landesweite Vernetzung »Bürgerbewegung Pax Europa« in diesem Zusammenhang federführend. PI-News veröffentlicht tagesaktuell Propaganda und zählt zu einem der meistgelesenen Blogs im deutschsprachigen Raum. Das PEGIDA-Orga-Team, gleichwie die Scharen, die ihm folgen, beziehen ihre Parolen und Totschlagargumente überwiegend aus dem antimuslimischen Hetzblog »Politically Incorrect«. PI-News hat in der Vergangenheit immer wieder die Entstehung rechter Parteien und Bewegungen publizistisch begleitet und forciert. Beispiele hierfür sind die Alternative für Deutschland (AfD) und Die Freiheit. Gleichzeitig ist PI-News beim Zusammenbrechen von derlei Organisationsversuchen immer wieder Rückzugsort für deren Konkursmasse. Die Bürger*innen, die in Dresden die »christlich-jüdische Abendlandkultur« verteidigen, können sich auf eine Fülle antimuslimischer Klischees in Bildern und Texten von Bild, Spiegel, Focus, Stern, ARD, ZDF und RTL aus den vergangenen 15 Jahren berufen. Ein Umstand, der ihnen schon vor dem PEGIDA-Hype die Versicherung gab, mit ihrer Mixtur aus irrationalem rassistischem Wahn, Verschwörungsdenken und unfassbarer Dummheit Teil der gesellschaftlichen Mehrheit zu sein. Die vom Facebook-Mob, Mehrheitsmedien und Politik geschürten Ängste vor »Sharia-Gerichten«, »Schweinefleischverbot« und »Terror-Zentralen« bekommen die muslimischen Gemeinden unmittelbar zu spüren. Dabei ist die Angst vor einer herbei phantasierten Islamisierung nichts weiter, als die Befürchtung, die kulturelle und soziale Hegemonie zu verlieren.
Gerade in den letzten Jahren herrschte ein bisher unbekannter Korpsgeist innerhalb der rechten Proteste: Neonazis und Bürger*innen marschierten ohne Berührungsängste gegen Muslim*a und Asylbewerber*innen. Ein bitterer Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte.
Die bisher latent rassistische Stimmung in der BRD brach in den letzten Jahren vermehrt auf. Durch vorgeschobene Argumente, z.B. Frauen*- und LGBTIQ2-Rechte, konnte nun problemlos offen ausgesprochen werden, was schon langeunter der Oberfläche brodelte. Unterstützt durch bürgerliche Zeitschriften wie »Der Spiegel« und etablierte Parteien wie der Sozialdemokratischen Partei Deutschland (SPD), der konservativen CDU/CSU und prominenten Politiker*innen, unter ihnen Thilo Sarrazin und Heinz Buschkowsky (beide SPD), Edmund Stoiber und Horst Seehofer (beide CSU), wird dieses vermeintliche Bedrohungsszenario noch verschärft. So sorgten die beiden Sozialdemokraten mit ihren Büchern dafür, dass die Debatte von rassistischen Vorurteilen entkoppelt und als angeblich gesellschaftlich notwendig verkauft wird.
Dies rief nun auch neue Gruppen, Strömungen und Parteien auf den Plan. Geschickter als ihre Vorgänger stellte sich die klassistische Partei Alternative für Deutschland an, die sich aktuell parteiintern mit Flügelkämpfen zwischen »Anti-Islam« und »Anti-Euro« Positionen herumschlägt. Weitere Akteur*innen, u.a. die völkische Identitäre Bewegung (IB), die offen antimuslimisch-rassistische German Defence Leauge (GDL) und die neurechte Zeitung Junge Freiheit folgen schon lange rassistischen Mainstreamdiskursen und versuchen, diese stetig zu befeuern. Gemein ist ihnen vor allem eins: Die Verteidigung des »Abendlandes« – jedoch nicht nur gegen vermeintliche Islamisten, sondern auch gegen Sinti & Roma und vor allem gegen so genannte »Wirtschaftsflüchtlinge«. Vor allem die Einteilung in »nütze« und »unnütze« Migrant*innen, ganz im kapitalistischen Sinn, zeigt ihre klare sozialchauvinistische Ausrichtung. Dem stehen jedoch auch Politiker*innen und Wirtschaftsverbände in nichts nach, die auch wiederholt betonen, dass Zuwanderung eine Bereicherung sein kann, allerdings nur, wenn diese den »Standort Deutschland« wirtschaftlich voran bringe. Der Rest darf bitte verrecken (wie es tagtäglich an den Südgrenzen der Festung Europa zu sehen ist).
Als im Sommer 2014 die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mit den Angriffen im Irak und in Syrien begann, gab dies der Stimmung einen weiteren Schub. Das Schicksal der Kurd*innen, Araber*innen, Muslime*a, Ezid*innen und Vieler mehr, welche von den Mördern des IS massakriert wurden, spielten dabei jedoch keine Rolle. Vielmehr sahen sich rechte Gruppen und die bürgerliche Mitte in ihren Ängsten bestätigt, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Szenarien sich auch in (West-)Europa abspielen würden. Geopolitische, also kapitalistische, Machtinteressen und Ursachen werden ausgeblendet, die Eskalation wird auf ein vermeintlichen Glaubenskrieg reduziert. Das von ihnen stark rezipierte Werk »The Clash of Civilisations« (deutscher Titel: Kampf der Kulturen) des US-amerikanischen Rassisten und Neokonservativen Samuel Huntington scheint wieder aktuell.
Hooligans gegen Salafisten: rechtes, männerbündisches Netzwerk
Bereits im Februar 2014 sammelten sich über 300 rechte Hooligans, Rocker und andere militante Neonazi-Aktivisten aus der gesamten BRD im mittlerweile geschlossenen Forum »Weil Deutsche sich’s noch traun!« des sozialen Netzwerkes Facebook. Hier erfolgte ein Austausch von Videos, die Anschläge auf »Islamisten« durch die rassistische English Defence League (EDL) zeigen. Ziel der Gruppe, so wiederholten Mitglieder beständig, sei es als Schutzmacht für die Nation gegen das vermeintlich Fremde (v.a. den Islam) einzustehen. Neben militanter Feindschaft gegen alles, was sie als »Islam« definierten, teilte die Gruppe den Hass auf Linke und »die Antifa« sowie ein geschlossenes Bild von Männlichkeit.
Im Herbst 2014 erwuchs aus dieser vornehmlich virtuell bestehenden Bewegung ihr Nachfolger, die Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa). Hunderte rechte Hooligans, Rocker und Alt-Nazis aus dem gesamten Bundesgebiet trafen sich erstmalig in Essen und Dortmund, um gegen die vermeintliche Bedrohung durch Salafisten in Deutschland zu protestieren. Dabei geht es nicht um humanitäre Hilfe für oder Unterstützung von Kurd*innen, die der Bedrohung des IS tagtäglich ausgesetzt sind. HoGeSa propagiert stattdessen einen Zusammenhalt des deutschen Volkes unter dem Label »gegen Salafismus«, wobei nicht zwischen religiösen Fundamentalismus und Muslimen unterschieden wird. Die größte mediale Aufmerksamkeit erhielt HoGeSa, als sie am 26. Oktober 2014 mit rund 5000 Rechten aller Couleur und Sympathisant*innen durch Köln marschierten. Während der Demonstration waren zahlreiche klassische Neonazi-Parolen zu hören (»Hier marschiert der nationale Widerstand« oder »Frei, sozial und national« sowie »Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!«). Nach wenigen Metern eskalierte die Demonstration. Dabei vermummten sich militante Nazis und griffen u.a. einen asiatischen Imbiss und Passant*innen an. Während der Auftaktkundgebung trat die Neonazi-Band Kategorie C auf. Sie gehört zu den beliebtesten Bands der rechten Szene und besitzt durch ihre Anbindung an das rechte Hooligan-Milieu eine Strahlkraft weit über den Rand organisierter Neonazikreise hinaus. Die Band tritt häufig auf Neonazi-Großveranstaltungen auf, wie am 25. Oktober 2014 für Blood & Honour in Slowenien. Das Aufkommen von HoGeSa hat das vorhandene rechte Potential in den Stadien deutlich gemacht und die Bereitschaft zu einem vereinsübergreifenden Agieren der rechten Fanszenen gestärkt. Gerade der subkulturelle Habitus verhalf dem Label im virtuellen und erlebniskulturellen Bereich zur Durchsetzung. Wie es mit HoGeSa als organisiertes Netzwerk weitergeht, bleibt jedoch zu beobachten.
PEGIDA: rechte Massenmobilisierung neuen Typs
»Es sind nicht die Arbeitslosen, es sind nicht die Ungebildeten.
Es ist das Deutschland mit Golf und Sky-Abo, das gerade ausrastet.«
(Christian Bangel, Journalist)
Nach dem der HoGeSa-Hype durch interne Spaltungen, Polizeirepressionen und fehlende Kontinuität allmählich abflachte, erlangte die Gruppierung der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA) mehr und mehr an Auftrieb. Die vordergründige Abgrenzung von Gewalt3 und der zivile Anstrich ermöglichten PEGIDA im Gegensatz zu HoGeSa eine höhere Anschlußfähigkeit. Ursprungsstadt der Bewegung ist die sächsische Landeshauptstadt Dresden. Zum ersten Aufmarsch Ende Oktober 2014 kamen rund 350 Teilnehmer*innen, Bis Anfang Januar 2015 gelang es PEGIDA an die 15000 Teilnehmer*innen auf die Straße zu bringen.
Ende Januar 2015 kam es zum Eklat innerhalb des Dresdner PEGIDA-Kreises. Ursache war ein von ihrem Sprecher Lutz Bachmann auf Facebook veröffentlichtes Fotos, dass ihn als Adolf Hitler zeigt so wie Facebook-Kommentare, in denen er Migrant*innen als »Viehzeug« bezeichnete. Die Frage, wie weit rechts Menschen sich positionieren wollen, die sich unter anderem LEGIDA, dem einzigen offiziell autorisierten Ableger anschlossen, führte zur Spaltung. Hinzu kamen Machtkämpfe innerhalb der Orgagruppe. Die neue Abspaltung »Bewegung für direkte Demokratie in Europa« sieht sich politisch »rechts neben der CDU« und wird vom Großteil der ehemaligen PEGIDA-Führungsriege getragen: der ehemaligen PEGIDA-Pressesprecherin Kathrin Oertel, dem zweiten Vorsitzenden René Jahn, dem AfD-Mitglied Achim Exner, dem Wirtschaftsberater Bernd-Volker Lincke und dem ehemaligen CDU-Stadtrat von Meißen, Thomas Tallacker.
Im Zuge des Erfolgs von PEGIDA entstanden Ableger in vielen deutschen Städten. PEGIDA konnte sich durch den Erfolg der Bewegung als Marke etablieren und fand in Polen, Dänemark und anderen europäischen Ländern Nachahmer*innen. Diese Veranstaltungen werden oft von rechtspopulistischen Gruppierungen getragen. In Dresden sind es lokale Parteiakteur*innen der FDP und AfD, die sich an den Aufmärschen und deren Durchführung beteiligen. Ebenso gab es persönliche Gespräche zwischen PEGIDA und dem sächsischen CDU-Innenminister Markus Ulbig. Die Initiator*innen setzen sich aus einer Melange von Vertreter*innen der Neuen Rechten, Verschwörungstheoretiker*innen, Neonazis und vor allem Bürger*innen zusammen, die bisher nicht in der radikalen Rechten politisch aktiv waren. Beispielhaft hierfür steht der PEGIDA-Initiator Lutz Bachmann. Der Drogenschmuggler und Wurstverkäufer hatte wie viele andere bisher keine politische Vita vorzuweisen. Der Führungskader der PEGIDA setzt sich vor allem aus Kleinunternehmer*innen zusammen. Sie sind untereinander gut vernetzt, finanziell abgesichert und bringen zum Großteil die nötigen Erfahrungen für Organizing und Werbung mit. Die Bezeichnung der PEGIDA als »Brandstifter in Nadelstreifen« mag auf den ersten Blick vielleicht nicht treffend genug erscheinen, die PEGIDA-Klientel, wie auch deren Protestmotivation aus mittelständischer Abstiegsangst, Patriotismus und Rassismus sind bei genauer Betrachtung jedoch nahezu identisch mit den Vorstellungen des rechten AfD-Flügels um Alexander Gauland (AfD-Fraktionsvorsitzender) und Frauke Petry (AfD-Vorsitzende Sachsen). So gesehen ist PEGIDA die außerparlamentarische Bewegung, die der AfD bisher gefehlt hat. Eine vermeintliche »Oppositionspartei« oder »Oppositionsbewegung«, deren Politik darauf abzielt, die Lebensverhältnisse noch restriktiver zu gestalten, offenbart nur deren eigentliches Ziel: nämlich selbst ein paar Etagen höher im Chefsessel etablierter Politik zu sitzen. PEGIDA sind Rassist*innen in Nadelstreifen und solche, die auf jenen Status hinarbeiten.
PEGIDA selbst behauptet, eine Reaktion auf die Angriffe und Gräueltaten des IS und einer daraus geschlussfolgerten angeblichen Bedrohung für »europäische Werte« und den Frieden des »Abendlandes« zu sein. Wenig überraschend ist, dass die Bewegung zu keinem Zeitpunkt die Menschen im Irak und in Syrien, die täglich gegen den IS kämpfen müssen, unterstützt oder sich solidarisch mit ihnen erklärt hat. Vielmehr war und ist das Erstarken des IS ein willkommener Anlass, den schon lange unter der Oberfläche der deutschen Gesellschaft schwelenden Rassismus zu befeuern.
»Deutschtum« passen, von Anfang an Bestandteil von PEGIDA war, verdeutlicht, dass auch andere Ereignisse als Anlass für die Formierung einer rechten Bewegung, hätten herhalten können. Erinnert sei an die homophoben Massenproteste gegen die Ehe für alle im Sommer 2013, in Frankreich. Es lässt sich mutmaßen, warum nicht beispielsweise die Baden-Württembergische Schulreform (Aufklärung über Homosexualität) zum Kristallisationspunkt einer rechten Massenbewegung wurde. Ohne das homophobe Grundklima in Deutschland negieren zu wollen, liegt jedoch die Vermutung nahe, dass Islamfeindlichkeit eine höhere Zustimmung genießt, auch bei Menschen, die ein »emanzipatorisches« Selbstbild pflegen. Dass der Hass gegen Geflüchtete, Sinti und Roma, Linke und alle weitere Menschengruppen, die nicht in ihr PEGIDA auf eine klare Ein-Punkt-Mobilisierung, von der aus sich im Laufe der Aufmärsche weitere Forderungen durch die Teilnehmenden herauskristallisierten oder durch diese gestrichen wurden. Erst das Positionspapier, quasi das Selbstverständnis von PEGIDA, klammerte bestehende Positionen des Protestes zusammen. Trotz der unverkennbar rassistischen Klammer, die alle eint, geben die Organisator*innen nach Außen eine inhaltliche und stilistische Unbestimmtheit vor. Für die verschiedensten rechten Gruppen und Milieus lässt das genug Platz für ihre eigenen Vorstellungen – Eine Grundvoraussetzung, um dem Protest überhaupt die nötige Breite zu verleihen. Statt auf ein ausformuliertes Programm, dass einen Start von Anfang an vielleicht verhindert hätte, setzte Gerade das Positionspapier strotzt vor Kulturrassismus und sexistischer Weltbildern: es unterstellt Migrant*innen, sie seien tendenziell kriminell, fordert rigorose Abschiebungen und eine »Senkung des Betreuungsschlüssels für Asylsuchende«. Gefordert wird eine restriktivere »Zuwanderung nach dem Vorbild der Schweiz, Australiens, Kanadas oder Südafrikas« und ein Ende des »wahnwitzige[n] »Gender Mainstreaming«, auch oft »Genderisierung« genannt, dass zur »zwanghafte[n], politisch korrekte[n] Geschlechtsneutralisierung unserer Sprache« führe. Soziale, gesamtgesellschaftliche Probleme wie Homophobie, Sexismus, (häusliche) Gewalt, Armut, Kriminalität, etc. werden kulturalisiert und zu Defiziten von Muslimen umgelogen. Die Systemkritiker*innen von PEGIDA haben jedoch nur wenig Systemkritisches zu melden – weder in ihrem Positionspapier noch in ihren Interviews. In der Frage des Schutzes derer, die vom IS ermordet werden, verbleibt PEGIDA auf deutscher Staatslinie: »PEGIDA ist GEGEN Waffenlieferungen an verfassungsfeindliche, verbotene Organisationen wie z.B. PKK«. Dabei war es die PKK, die die Ezid*innen vor den Massakern des IS rettete und Bevölkerungsgruppen-übergreifende Selbstverteidigungseinheiten in Syrien aufbaut. Den Betroffenen des IS-Terrors, die eigentlich als Argument für die Aufmärsche in Dresden herhalten mussten, spricht PEGIDA damit das Recht auf Selbstverteidigung ab. Schon der Leitspruch »Gewaltfrei gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden«, welcher bundesweit auf den Fronttransparenten der regionalen PEGIDA-Ableger prangt, macht klar worum es geht: »Fundamentalistischer Terror bitte nicht vor meiner eigenen Haustür«. Der Rest kann sehen, wo er*sie bleibt.
Das inhaltlich schwache Programm und die vielen Widersprüchlichkeiten der Bewegung machen es schwer, ihre politische Gesinnung zu identifizieren. Das ist gewollt: PEGIDA will keinem der herkömmlichen politischen Lager zugeordnet werden, weil sie es auf eine bürgerliche Klientel absehen, die zwar (proto-)faschistisch denkt, sich selbst aber für demokratisch hält.
»Ihr habt das Denken outgesorced, denn ihr habt nichts zu sagen.
Aus Gedanken werden Taten: Rostock-Lichtenhagen.
Und ich scheiß aufs Positionspapier, das macht euch nicht sympathisch.
Wer mit Rechten durch die Straßen läuft ist niemals demokratisch!
Von mir aus nennt mich Gutmensch, damit triffst du mich nicht
Meine Meinung sag ich jedem Faschist ins Gesicht«
(Kiezkunst (Takt32 & FX), Hip-Hop-Künstler)
Sächsischer Sonderweg?
Dass das Mutterland von PEGIDA ausgerechnet der Freistaat Sachsen ist, ist kein Zufall. Über zwei Jahrzehnte unter der Knute der CDU-Regierung, Heimatland der Schwippbögen und Christstollen, der Extremismus-Theorie und Glatzenpflege auf Staatskosten. Letzteres Modell, auch bekannt als »akzeptierende Jugendarbeit« mit Neonazis, ist zwar seit Mitte der 00er zu den Akten gelegt worden, prägte aber die Entstehung der regionalen Neonaziszene nachhaltig (siehe Nationalsozialistischer Untergrund, NSU). Kurz gesagt: Sachsen ist so etwas wie das Bayern des Ostens.
Eckard Jesse, einer der ideologischen Flakhelfer der »Extremismustheorie«, hat einen Lehrstuhl an der Technischen Universität Chemnitz inne. Er und sein Weggefährte Uwe Backes (Professor an der Technischen Universität Dresden) haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Gleichsetzung des rechten Mordens und des legitimen Widerstand dagegen in Lehrplänen, Schulmaterialien und Hörsälen zu verankern und zum Common Sense zu machen. Auch wenn sie den Quatsch nicht selbst erfunden haben, Backes und Jesse werden quasi als Gründungsväter der Extremismus-Theorie gehandelt. Dass Vertreter dieser Ideologie hier in angesehen Lehrinstituten dozieren dürfen, spricht für sich. Dass die sächsische Landeszentrale für politische Bildung PEGIDA ihre Räume für eine Pressekonferenz zur Verfügung stellte, hatte darum höchstens für die Presse das Zeug zum Skandal, nicht aber für diejenigen, die mit den sächsischen Zuständen vertraut sind.
Anti-Extremismus-Denke und reaktionärer Grundkonsens sorgen dafür, dass sich der politische Kampf in Sachsen seit jeher gegen links richtet (z.B. PDS/Die.LINKE, Antifa). Sachsen hat ein Konservativismus Problem – zum Teil bereits vor dem Mauerfall. Was das in Kombination mit über 20 Jahren CDU-Regierung mit den Menschen macht, wie sie sich dadurch sozialisieren, bietet Stoff für zukünftige Texte. Einige Spezifika der sächsischen Zustände jedenfalls lassen sich schwer verleugnen: Das extrem rechte Profil der AfD, die breit aufgestellte rechte Fußballszene, die national befreiten Zonen und der NSU-Verfassungsschutz-Filz entstammen unmittelbar diesem Klima. Auf Grundlage des rechten Konsens können Law and Order-Vorstöße sächsischer Landespolitiker*innen immer auf die Zustimmung breiter Bevölkerungsteile bauen. Sachsen könnte sich in Zukunft weiter zum Stichwortgeber für bundesweite rassistische Diskurse entwickeln. Einer der letzten Vorstöße kam von PEGIDA-Versteher Markus Ulbig (CDU). Er forderte im Dezember 2014, Tunesien als Sicheren Drittstaat zur Abschiebung Asylsuchender anzuerkennen.
Die sächsischen Zustände zu thematisieren, sollte jedoch nicht zu einer Problemreduktion auf den Osten führen. Dagegen sprechen im übrigen nicht nur die bundesweiten Nachahmungsversuche des PEGIDA-Konzepts, sondern auch die zahlreichen Anschläge gegen Geflüchtete und deren Unterkünfte in den alten Bundesländern. Wenn Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), gegenüber CNN betont, PEGIDA sei ein regionales Problem (gemeint ist die exklusiv in Dresden hohe Teilnehmer*innen-Zahl), bagatellisiert er die gesamtgesellschaftliche Problematik. Das ist also nicht Deutschland? Wir sagen: Doch! Genau das ist Deutschland und zwar mit seiner überaus hässlichen Fratze.
Günstige Bedingungen für die herrschende Klasse
»Bürgerinitiativen agieren unterm Deckmantel
Kein Flüchtling lebt wie die Made im Speckmantel
Das kann mir keiner erzählen
Die SPD geht bitte keiner mehr wählen«
(Neonschwarz, Hip-Hop-Kollektiv)
Die Reaktionen aus der Politik sind sehr weitläufig und unterschiedlich. Rechtskonservative und andere reaktionäre Strömungen versuchen in erster Linie, die angeblich berechtigen »Sorgen und Ängste« der Teilnehmer*innen zu legitimieren. Diese würden nur den falschen Leuten folgen. Man müsse auf die »besorgten Bürger*innen« zugehen und das Gespräch suchen, ist aus den Reihen der CSU und AfD zu hören. Dadurch legitimieren diese den rassistischen Protest von PEGIDA um so mehr.
Hier wird nicht mehr der rassistische Grundkonsens der Teilnehmer*innen in den Fokus gestellt, sondern die Geflüchteten als Problem. Wie von vielen anderen Unionspolitiker*innen, kamen auch von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) absurde Forderungen wie die, dass man den Menschen »die Angst vor der Islamisierung« nehmen müsste. Eine solche Aussage impliziert, dass diese tatsächlich existiert und gibt den Inhalten von PEGIDA Rückendeckung. Schäuble schafft hier einen Spagat, indem er sich halbherzig von PEGIDA distanziert und diese gleichzeitig ernst nimmt. Das ist bei der CDU/CSU zur Zeit von großer Bedeutung. Während sich innerhalb der CSU die Plattform »Konservativer Aufbruch« gegründet hat, um gegen die vermeintlich zu links-liberale Position der Führungsspitze der CDU zu »rebellieren«, überschlagen sich innerhalb der Partei rassistische Positionen. Dabei geht es in erster Linie um den Machterhalt der Gesamtpartei, da sie einen großen Wähler*innen-Verlust an die AfD fürchtet. Weiterhin kann der Rechtsaußen-Flügel der CDU/CSU endlich offen aussprechen, was schon lange intern Konsens ist. Dies äußerte sich zuletzt durch Absurditäten wie die Forderung, dass Migrant*innen auch zu Hause nur deutsch reden sollten. Zwar folgte die Distanzierung auf dem Fuße, jedoch sind im aktuellen Positionspapier der CSU so gut wie alle Forderungen von PEGIDA enthalten. Dass die CSU mit der Forderung nach Germanisierung migrantischer Haushalte ausgerechnet an die Öffentlichkeit ging, als PEGIDA im Dezember 2014 ihr erstes politisches Hoch erlebte, kann kein Zufall sein. Um PEGIDA und AfD das Wasser abzugraben, forderte Innenminister Hans-Peter-Friedrich (CDU) fast zeitgleich die Stärkung eines konservativen CDU-Profils mittels weiterer Verschärfung der Einwanderungspolitik. Die Situation erinnert an die 90er Jahre, als eine mehrjährige Serie von Pogromen und Brandanschlägen dazu führte, dass SPD/CDU die »Sorgen und Nöte« der Wutdeutschen ernst nahmen und das Grundrecht auf Asyl faktisch abschafften.
SPD und Grüne wiederum machten sich den Protest gegen PEGIDA für die Kaschierung ihrer eigenen rassistischen Politik zunutze. Um der Beschädigung des deutschen Ansehens in der Welt zuvorzukommen, wurde der Kampf gegen PEGIDA seitens renommierter Medien und Regierungsparteien zügig zur Frage der Standortrettung erklärt. Besonders deutlich wurde dies am 05. Januar 2015, als der Berliner Ableger von PEGIDA, BÄRGIDA, versuchte, in der Hauptstadt aufzumarschieren. Die antifaschistischen Gegenproteste wurden von Parteien gezielt als Interview-Kulisse für deren whitewashing-Kampagne instrumentalisiert. Ausgerechnet Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD), die maßgeblich zur Räumung des Berliner Refugee-Protestcamps am Oranienplatz4 beitrug, behauptete gegenüber anwesenden Pressevertreter*innen: »Asylsuchende haben ein Anrecht auf Schutz.« Wer dagegen sei, sei auch »gegen unsere lebendige und offene Gesellschaft«. Ihr Parteikollege Heinz Buschkowsky trieb jenes Possenspiel wenig später auf die Spitze, als er vor der Trauerfeier für die Opfer des Pariser Terroranschlages gegenüber dem ZDF beteuerte, dass nicht alle Muslim*a Terrorist*innen seien. Dabei propagiert gerade Buschkowsky in seinem Buch »Neukölln ist überall« dieselbe irrationale Gleichung »Ausländer = Muslim = Krimineller«, wie sie auch PEGIDA-Anhänger*innen vertreten.
Von der Kommentarspalte zum Brandanschlag
»Bekennende Rechte seid ihr nicht. (…) Nein, euer Hass gegen Fremde ist subtiler. Und deshalb umso gefährlicher. Denn ihr seid keine Randgruppe. Ihr seid viele. Rechtschaffene Bürger mit Familie und Job. Euer Hass auf Muslime, Sinti und Roma und Asylbewerber wächst. (…) Ihr seid nicht dumm, viele von euch haben studiert und sind erfolgreich im Beruf. (…) Ihr geht wandern und veröffentlicht bei Facebook Katzenfotos. Ihr seid Männer UND Frauen. Ihr sitzt in der Mitte der Gesellschaft. Eure Waffen haben Wirkung, aber ihr braucht keine Gewalt. Es ist ein friedlicher Hass. Ihr tobt euch in Facebook-Kommentaren aus, ihr schickt uns wütende Mails. Alles natürlich unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit. Ihr macht euch ja nur Sorgen, wollt bloß mal sagen, wie es ist.«
…beschreibt Sabrina Hoffmann in der Huffington Post treffend jene, die sich regelmäßig zum gemeinsamen Frust ablassen in Dresden versammeln. Zugleich wird PEGIDA treffend als Online-Bewegung charakterisiert – eine Parallele die sich auch bei HoGeSa oder der AfD wiederfinden lässt. Die hohe Zahl an Rentner*innen auf den PEGIDA-Aufmärschen wird sicherlich nicht über Facebook mobilisiert worden sein, aber als Initialzünder war und ist Facebook wichtig für die Strukturen von PEGIDA. Einfache Identifikationsangebote, ohne die Notwendigkeit eigener Organisierung, ermöglichen einen unkomplizierten Zugang zu PEGIDA. Ohne Facebook hätten die Aufmärsche in dieser Größenordnung nicht stattfinden können.
Beflügelt durch die Gemeinschaftserlebnisse auf der Straße, machen potentielle Brandstifter*innen die Erfahrung, mit ihrem dumpfen Rassismus und Sozialdarwinismus nicht allein hinterm Bildschirm zu sein. Der rassistische Hass findet somit seinen Weg aus viralen, sozialen Netzwerken und bricht sich auch in der Realität Bahn. So legten Unbekannte im Dresdner Stadtteil Gorbitz am 12. Dezember 2014 in drei Häusern, die von Geflüchteten bewohnt sind, in den Hauseingängen Feuer. Allein im Januar 2015 zählt die Opferberatung des RAA Sachsen insgesamt fünf teilweise bewaffnete Überfälle auf Asylsuchende in Dresden. Laut PRO ASYL kam es im Jahr 2014 landesweit zu 153 Angriffen auf Geflüchtetenunterkünfte und in 77 Fällen zu tätlichen Angriffen gegen Asylbewerber*innen. Unserer Einschätzung nach ist der signifikante Anstieg solcher Angriffe das Produkt der seit 2013 von Neonazi-Gruppen gefahrenen Mobilisierungen gegen Geflüchtetenunterkünfte. Die rassistischen Anwohner*innenproteste in Schneeberg und Berlin-Hellersdorf5 im Jahr 2013 waren rechte Modell-Mobilisierungen. Die vorwiegend Facebook-basierten Werbekonzepte und Mobilisierungen der Neonazi-Bürgerinitiativen bildeten unter anderem die Vorlage für HoGeSa und PEGIDA. Die über zwei Jahren gesammelte Kollektiverfahrung rassistischer Massenmobilisierungen und das damit verbundene Selbstwertgefühl kanalisieren den »friedlichen Hass« der Facebook-Rassist*innen in offene Gewalt. Da die »Lügenpresse« organisierte Rechte derzeit auf Abstand hält, werden rechte Bewegungen auch in Zukunft auf kostengünstige soziale Medien mit hoher Streuweite setzen. Antifaschistische Gegenstrategien müssen darum auch auf dieser Ebene entwickelt werden.
Antifa praktisch machen
In vielen Städten konnten sich Blockaden als adäquates Mittel gegen die Aufmärsche erweisen, was in Dresden auf Grund der hohen Teilenehmer*innenzahlen bei PEGIDA allerdings unmöglich schien. Zur Ausgangslage in Berlin muss angemerkt werden, dass die Vorbereitung und Durchführung von Demos und Blockaden gegen BÄRGIDA komplett unterbesetzt waren. Viele Teilnehmer*innen nahmen an den Aktionen lediglich als Konsument*innen teil. Durch Aufrufe zu offenen Orga-Treffen verbesserte sich die Situation. Für die Zukunft bleibt festzuhalten, dass der aktuelle Rechtsruck auch eine breite und anschlussfähige Gegen-Organisierung benötigt, um mehr Menschen in den Widerstand einzubinden.
Im Zusammenhang mit PEGIDA sollte Antifa-Recherche ihre gebührende Erwähnung finden. Ohne die Wühlarbeit in rechten Facebook-Strukturen und die langjährige Archivierung von Neonazi-Information wäre es nicht möglich gewesen, die Verstrickungen der einzelnen PEGIDA-Ableger ins rechte Lager aufzudecken. So konnte mensch auf leipzig.antifa.de im Wochenrhythmus Veröffentlichungen zu Teilnehmer*innen und Organisator*innen des offiziellen Leipziger PEGIDA-Ablegers lesen. Diese reichen von Verschwörer*innen bis hin zum Unterstützer*innenumfeld des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU).6
Die auf antifaschistischen Webblogs und Indymedia aufbereiteten Informationen dienten als Grundlage für zahlreiche Schmähartikel gegen Akteur*innen der verschiedenen PEGIDA-Gruppen. Ähnliche wie bei den Anti-Asyl-Aufmärschen in Berlin 2014 (Stadtteile Marzahn, Köpenick, Buch) gelang es die »Wir sind keine Nazis«-Lüge als solche zu enttarnen. Diese Aufmärsche von Anwohner*innen und Neonazis in Berlin (2014/2015) wurden von Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) anfänglich als Bürger*innenprotest dargestellt und waren zahlenmäßig nur schwer niederzuringen.
Antifa-Recherche kann die Blockade eines Aufmarsches zwar nicht ersetzen, jedoch kann sie manchmal das Zünglein an der Waage sein, um zumindest die Kräfteverhältnisse im öffentlichen Diskurs zu verschieben oder den Druck auf die Rechten zu erhöhen.Gerade durch die Gesprächigkeit der Rechten in sozialen Netzwerken haben sich für Recherchestrukturen neue Optionen jenseits der Straßenrecherche aufgetan und die Möglichkeit zum Mitmachen eröffnet. So hat sich mit dem Aufkommen von Montags-Friedensdemos7 und der Verschwörungsszene auf Facebook mittlerweile eine Anti-Verschwörungsszene herausgebildet, die tagesaktuell in Watchblogs problematische Aussagen und Verbindungen der neuen rechten Bewegungen veröffentlicht. Die rassistischen Kommentare und das Hitler-Foto, die Lutz Bachmann Anfang Februar zum Rückzug bewegten, entstammen jener Wühlarbeit.
Das Zerwürfnis der Dresdner PEGIDA-Organisationsgruppe war Resultat des enormen Drucks, der auf den Hauptverantwortlichen von PEGIDA lastet. Der politische Wille von ganz oben, PEGIDA zu bekämpfen, PEGIDA-Bashing seitens der »Lügenpresse« und Antifa-Recherche waren maßgeblich ausschlaggebend für die zwischenzeitige Kapitulation der PEGIDA. Auf das journalistische Interesse an unseren Infos sollten wir uns jedoch nicht verlassen. Denn Presseinteresse ist konjunkturabhängig und steht im schlimmsten Fall auf der Gegenseite. Gleiches gilt im übrigen für Blockaden. Oft hängt es am Willen von Polizei und Stadtverordnung, ob den Rechten der Aufzug untersagt oder der Gegenprotest weggeknüppelt wird. Wenn der faschistische und rassistische Mob auf Grund zahlenmäßiger Überlegenheit nicht zu stoppen ist, kann der Widerstand gegen dessen Hauptakteur*innen ein Mittel sein, um dem Mob als Ganzes zu zeigen, dass ihr Treiben nicht kritiklos hingenommen wird.
Die personelle Melange, die wir derzeit auf deutschen Straßen aufmarschieren sehen, stört sich nicht an ihrer öffentlichen Ausgrenzung. Sie lebt in einer eigenen politischen Welt, in der sie ihre rassistischen und rechtspopulistischen Meinungen reproduziert und nicht mehr in Frage stellen muss. Ein Korrektiv, das sie mit der Realität konfrontiert, scheint es für sie nicht mehr zu geben. Um dem auklärungsrestsitenten Mob etwas entgegen zu setzen, gilt es darum, auf eine eigene Antifa-Praxis zu setzen und selbst wieder handlungsfähig zu werden.
»Alle Welt sucht das Gespräch mit Rechtsradikalen. Warum? […] Ist nicht hinlänglich bekannt, was sie denken, fordern und propagieren? […]Niemand wählt Nazis oder wird einer, weil er sich über deren Ziele täuscht, – das Gegenteil ist der Fall; Nazis sind Nazis, weil sie welche sein wollen. Eine der unangenehmsten deutschen Eigenschaften, das triefende Mitleid mit sich selbst und den eigenen Landsleuten, aber macht aus solchen Irrläufern der Evolution arme Verführte, ihrem Wesen nach gut, nur eben ein bißchen labil etc., “Menschen […] um die wir kämpfen müssen”. Warum? Das Schicksal von Nazis ist mir komplett gleichgültig […] Was mich an ihnen interessiert, ist nur eins: daß man sie hindert, […] die [zu] bedrohen und nach Möglichkeit um[zu]bringen, die nicht in ihre Zigarettenschachtelwelt passen. Ob man sie dafür einsperrt oder sie dafür auf den Obduktionstisch gelegt werden müssen, ist mir gleich.«
(Wiglaf Droste, Autor)
Nicht bei PEGIDA stehen bleiben: für eine emanzipatorische Perspektive!
Auch wenn es aktuell so scheint, als würden PEGIDA und ihre Ableger an ihren internen Kämpfen um Führungsansprüche und die passende politische Außenwirkung zerfallen – die Gefahr einer populistischen Massenbewegung, der es gelingt, Tausende auf die Straße zu bringen, deren Großteil bisher in politischer Apathie verharrt war, ist nicht gebannt! PEGIDA war und ist, wie die rechtspopulistischen Bewegungen und Mobilisierungsversuche vor ihr, ein Sammelbecken für krude Ideologien und irrationale Ängste und somit auch ein gefundenes Fressen für all jene rassistischen und nazistischen Akteur*innen, die es verstehen, sich die diffuse Frustration in Teilen der Gesellschaft zunutze zu machen. Dies wird nicht zuletzt darin deutlich, dass in den aktuellen PEGIDA-Strukturen und deren Ablegern häufig altbekannte Rechtspopulist*innen und Nazis zu finden sind, die auch sonst keinen regressiven Mobilisierungsversuch auslassen. Doch nicht nur erklärten Rassist*innen und Rechten nutzt PEGIDA als massenhafte Vernetzungs- und Artikulationsplattform. Auch die politische Elite profitiert davon, dass »ganz normale Deutsche« ihre Stammtischphrasen nunmehr offen auf der Straße herauskrakelen, von wo sie es zur besten Sendezeit ins Fernsehen schaffen. Unter dem Deckmantel, die »Ängste der Bevölkerung« ernst nehmen zu wollen, können Bundesregierung und Länder ihre repressive Anti-Asyl-Politik und die zunehmende Kriminalisierung Geflüchteter weiter vorantreiben. Die etablierte Politik bedient sich hierbei somit genau der Geister, die sie zu einem großen Teil selbst herbeigerufen hat Ein entschlossener antifaschistischer Widerstand gegen. PEGIDA, deren Ableger und jede andere neurechte Bewegung ist deshalb unvermeidlich und besonders wichtig. Eine emanzipatorische Kritik an diesen gesellschaftlichen »Krisenphänomenen« darf allerdings niemals außer Acht lassen, dass der Erfolg rechtspopulistischer und rassistischer Bürger*innenbewegungen keineswegs nur auf die Spinnereien einiger neurechter Ideolog*innen und neonazistischer Netzwerker*innen zurückzuführen ist. Wie oben dargelegt wurde, haben sowohl die Regierungspolitik der letzten Jahre, als auch nationale und europaweite Wirtschaftsinteressen, Hand in Hand mit einer tradierten Ideologie der vermeintlichen Überlegenheit einer imaginierten fortschrittlich-freiheitlichen »westlichen Welt«, erst die Basis geschaffen für reaktionäre Massenbewegung wie PEGIDA und Co. Antifaschismus darf vor diesen Ereignissen nicht nur in einem reinen Anti-Nazi-Kampf verhaftet bleiben. Eine antikapitalistische Perspektive einer befreiten und solidarischen Gesellschaft muss weiter forciert werden, um die ökonomischen Ursachen dieser rassistischen Bewegungen aufdecken und analysieren zu können. Dabei darf die emanzipatorische Kritik jedoch nicht Halt machen vor der etablierten Politik und der so genannten »Mitte der Gesellschaft«. Sie muss klar die staatlichen, wirtschaftlichen und politischen Interessen aufdecken, benennen und bekämpfen, die PEGIDA – und neben ihr eine große Anzahl neurechter und populistischer Organisationen und Bewegungen europaweit – mit hervorgebracht haben und befördern. Die reaktionäre Angst vor der sozialen Deklassierung treibt das rassistische gesellschaftliche Klima weiter voran – demgegenüber muss eine radikal linke Perspektive jenseits von Ausgrenzung und Diskriminierung aufgezeigt werden. Kämpfe gegen soziale Ausgrenzung und Rassismus müssen daher zusammengeführt werden, damit die Vorboten der Faschisierung der Gesellschaft von Anfang an aktiv bekämpft werden können.
Es gibt nicht zu viele Geflüchtete, sondern zu viele Rassist*innen!
Deutschland halt’s Maul!
North East Antifa [NEA]
Februar/März 2015
Exkurs: Orientalismus und Okzidentalismus
»Ihr habt Angst vor’m Schwarzen Mann
Vor ’ner anderen Religion
Vor den fremden an den Grenzen
Ihr habt Schiss vor jedem Ton
der nicht klingt wie eure Sprache
die ihr gern dazu benutzt
um die Türkin anzuschreien
die bei euch die Küche putzt«
(Terrorgruppe, Punkband)
Die Betonung und Höherbewertung des eigenen konstruierten »Selbst«, welches sich in der Argumentation der PEGIDA-Anhänger*innen widerspiegelt, ist nicht neu, sie tritt nur erstmals in einer solch geballten Ladung auf und findet einen entsprechenden medialen Widerhall. Dabei reiht sich PEGIDA in eine lange Kette von Ausgrenzungs- und Diskriminierung-Diskursen ein, welche in den Konstrukten von Orientalismus und Okzidentalismus bereits historische Tradition haben.
Edward W. Said geht davon aus, dass der selbsternannte Okzident sein Selbstverständnis in grundsätzlichem Gegensatz zum »Orient« konstruiert hat, was eine permanente und unauflösliche Differenz zwischen beiden bedeutet. Der Okzident prägt dabei ein vermeintliches Wissen über den Orient, welcher immer als »das Andere« dargestellt wird, welches als archaisch, rückständig und barbarisch markiert wird – wobei die eigenen Positionen, Macht- und Herrschaftssysteme in der Regel unberührt und unreflektiert bleiben. Wenn überhaupt, werden diese als »natürliche« und positive Gegensätze zum Orient angesehen und mit Attributen versehen wie: modern, fortschrittlich, rational, säkular und demokratisch. Der Orient selbst wird (wie in der Definition von The Runnymede Trust zu sehen) als ein homogener (monolithischer) Block mit nur einer Kultur dargestellt, wobei Gegebenheiten und Tatsachen, welche nicht in das eigene Bild passen (Widersprüche zur rassistischen Verallgemeinerung), in der Regel einfach ausgeblendet werden. Der Okzident spricht für und über den Orient. Oder anders ausgedrückt: »>Orientalismus< ist Teil eines europäischen imperialen Denksystems« (Barskanmaz 2009: 365).
Die Dialektik, also die gegensätzlich erscheinende Für- und Widersprüchlichkeit von bspw. romantisierenden/ sexualisierenden Bildern (Stichwort: »Harem«, »kulinarische Genüsse«, etc.) und der vermeintlichen, pauschalen »Rückschrittlichkeit« oder »Demokratieunfähigkeit« muslimischer Menschen (Krieg, Vertreibung, Islamismus, etc.) stellen dies eindrücklich dar.
Ausgehend vom Orientalismus unterscheidet sich also auch der antimuslimische Rassismus von dessen anderen Formen, wobei es gewisse Parallelen gibt. So sieht beispielsweise Iman Attia in der Transformation vom »alten Feindbild« Islam zum Orientalismus – und damit auch zum antimuslimischen Rassismus – Parallelen mit der Entwicklung vom mittelalterlichen Antijudaismus (religiös motiviert, bspw. jüdische Menschen als »Christus-Mörder*innen«) zum Antisemitismus (rassifizierend, kulturell und ökonomisch motiviert, bspw. Jüd*innen als »allbeherrschende Macht im Hintergrund«).
Wie zeigt sich diese Entwicklung in Hinblick auf antimuslimischen Rassismus?
Davon ausgehend, dass der deutsche Kolonialdiskurs seit jeher durch die Vorstellung von einer vermeintlichen biologischen, also »rassischen« und völkischen Überlegenheit dominiert war und ist, geht die Postkoloniale Theorie davon aus, dass es auch hier zumindest eine Tradition von biologistischem und völkischem Rassismus gibt. Auch wenn Deutschland im Vergleich zu anderen imperialen Staaten nie eine große Kolonialmacht war und im »Orient« keine Kolonien hatte, müssen wir die heutige Gesellschaft als postkolonial ansehen. Gerade im Zuge der Dekolonialisierung und der Nachkriegsmigration (so genannte »Gastarbeiter*innen«), betrifft dieser Diskurs auch hier viele orientalisierte Subjekte in sämtlichen Lebensbereichen. Mit der weiter oben angesprochenen Verschiebung von einem »alten Feindbild« Islam, werden negativ tradierte Stereotype und Angstbilder an den Betroffenen selbst reaktiviert. Dazu zählen im aktuellen Diskurs vor allem gesellschaftliche Themen wie Zwangshochzeit, Ehrenmord, Genitalverstümmelung und selbstverständlich auch das Kopftuch. Diese werden jedoch nicht als gesamtgesellschaftliche Themen besprochen. Vielmehr stellt sich hier die Frage, wer hier für und über wen spricht – und mit welcher Motivation.
Muslime*a werden innerhalb des mehrheitsgesellschaftlichen Diskurses kulturalisiert. Das heißt, »der Islam« wird in einem Atemzug mit Terrorismus und Fundamentalismus genannt. Eine Differenzierung bzw. das Herausarbeiten und Darstellen von Diskrepanzen von Terrorismus und islamischen Glaubensrichtungen fehlt in der Regel völlig.
Interessanterweise blendet selbiger Diskurs bewusst aus, welche Rollen zahlreiche imperiale Staaten einnahmen, um islamistische Strukturen gegenüber Befreiungsbewegungen, Gewerkschaften und einer gefürchteten Ausbreitung kommunistischer Organisationen finanziell, strukturell und direkt militärisch aufzubauen. Als einige Beispiele seien kurz die Muslimbruderschaft in Ägypten, die Taliban in Afghanistan sowie die Hüda Par (kurdische Hizbollah) genannt, die fortschrittliche Bewegungen bekämpfen.
Vielmehr sind PEGIDA und andere selbsternannte »Verteidiger*innen des Abendlandes« damit beschäftigt, dieses Erklärungsmodell für sämtliche Missstände innerhalb der »muslimischen community« und der Gesamtgesellschaft heranzuziehen und als eine Drohkulisse für das gesamte »Abendland« zu konstruieren. Dabei werden die Betroffenen nicht, wie zuvor üblich, an Hand vermeintlicher körperlicher Merkmale rassistisch stigmatisiert, um negative Eigenschaften zum biologischen Schicksal zu erklären. Im Falle des antimuslimischen Rassismus werden die betroffenen Subjekte als eine einheitliche und »fremde« Kultur zusammengefasst, welche unveränderliche und starre Eigenschaften und Verhaltensweisen führen würden, wobei jeglicher eigener Handlungsspielraum den Betroffenen durch die Mehrheitsgesellschaft hervorbringe. Dies impliziert somit auch eine unüberwindbare Diskrepanz zwischen der vermeintlich »eigenen« überlegenen westlichen Kultur und der zugeschriebenen »anderen« Kultur. Beide sind auf dieser Grundlage nicht miteinander vereinbar, nicht einmal eine Koexistenz, ohne Berührungspunkte, könne funktionieren. Dieser Prozess wird auch als kulturelles »Othering« bezeichnet. Es wird also nicht wie bisher über konstruierte »Rassen« diskutiert, sondern über eine natürliche Andersartigkeit der als fremd empfundenen und markierten »Kultur der Anderen«. Man könnte also von einem Rassismus »ohne Rassen« sprechen. Hier genau setzt auch ein weiterer Problembereich an.
Anhänger*innen von PEGIDA, aber auch anderer protofaschistischer und reaktionärer Strömungen, leugnen genau dadurch ihre rassistischen Ressentiments. So versuchen etwa Pro Deutschland und PEGIDA sich damit zu rechtfertigen, dass an ihren Kundgebungen und Demonstrationen auch nicht-weiße Menschen teilnehmen würden. Auch wenn deren Teilnehmer*innen-Zahl doch mehr als marginal ist- eine ernst zu nehmende Position gegen Rassismus sieht wohl doch anders aus.
Vollends ad absurdum wird deren vermeintlicher »Antirassismus« jedoch dadurch, dass solche Debatten nicht selten in der Lächerlichkeit von einer herbei halluzinierten »Deutschenfeindlichkeit« oder gar »Rassismus gegen Deutsche/Weiße« münden. Auch die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder (CDU) versuchte, diese »unterschätzte Gefahr« zu thematisieren und forderte gar Fördergelder für Projekte, welche gegen die vermeintliche Diskriminierung Deutscher arbeiten würden. Diese Idee wurde jedoch auf Grund mangelnder Realität wieder verworfen.
Häufiger versuchen jene Kulturrassist*innen jedoch, ihre Ressentiments durch eine fortschrittliche und überlegene Kultur zu rechtfertigen. Urplötzlich interessieren sich rechte/rechts-konservative/rechtspopulistische Politiker*innen für die Rechte von Frauen* und LGBTIQ*. Dies wird dann eben mit einer inhärenten Charakteristik der säkularen »freiheitlich-demokratischen« Gesellschaft des Westens und deren Angehöriger begründet – was im Umkehrschluss vermuten lässt, dass diese Eigenschaften den vermeintlichen Angehörigen der »anderen Kultur« fehlten. Von diesem Standpunkt aus sei es für Muslime*a, Angehörigen einer religiös verfassten, unfreien und rückständigen Kultur, nicht möglich, sich anders zu verhalten. So ist der Weg zum biologischen Rassismus nicht mehr weit und die Parallelen werden deutlich.
Unterstützt werden diese Ansichten auch von staatlicher und institutioneller Seite. Dies äußert sich am deutlichsten im Einbürgerungs-Fragebogen des Bundeslandes Baden-Württemberg. Hierbei wird die »demokratische Gesinnung« von Asylbewerber*innen aus islamischen Ländern geprüft. Wie es um die »demokratische Gesinnung« der »eigenen Bevölkerung« steht, spielt zunächst keine Rolle. Ein noch traurigeres und schockierendes Beispiel ist die skandalöse Ermittlung um die neonazistische Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Neben der unsäglichen Bezeichnung als »Dönermorde« gerieten auch hier die Betroffenen und Opfer ins Visier der Ermittler*innen. In den diversen Kriminalitäts-Unterstellungen war von Mafia-Verbindungen bis hin zur PKK alles dabei. Auch hier gingen staatliche Stellen von Beginn an davon aus, dass die Täter*innen aus einem »anderen Kulturkreis« kommen, da eine solche Terror-Welle in einem »westlich-zivilisiertem« Land doch gar nicht möglich wäre. Noch im Oktober 2010, nur ein Jahr vor der Selbstenttarnung des NSU, sprach Horst Seehofer (CSU) vor der Jungen Union (JU), bei deren so genannten Deutschlandtag in Potsdam, offen die »Integrationsprobleme« mit den Worten »Multi-Kulti ist tot« an. Zynischerweise sollte er damit sogar recht haben. Daher wirkten, insbesondere auch nach den Vertuschungsversuchen der Behörden, jegliche späteren Entschuldigungen als Farce.
Auch die Forderung, dass besonders in so genannten »Hinterhof-Moscheen« deutsch gepredigt werden müsse, schürt die Angst vor einer vermeintlichen Bedrohung des Westens durch »den Islam«. Wenn Betroffene innerhalb dieses Diskurses überhaupt die Möglichkeit erhalten, medial zu Wort zu kommen, dann jedoch lediglich aus einer gewünschten defensiven Haltung heraus. So müssen Mulime*a stets und ständig beteuern, dass sie sich vom »Islamischen Staat« distanzieren und die Morde von Paris verurteilen. Auf die Idee, dass es auch für Muslime*a eine Selbstverständlichkeit sein könnte, solche Ereignisse nicht positiv zu bewerten, kommt dabei jedoch kaum jemand. Noch absurder wird es, wenn von Muslimen*a abverlangt wird, am besten Verständnis für die PEGIDA aufzubringen, da deren Anhänger*innen sich in einer prekären Lage befänden und somit ja auch irgendwie Opfer seien. Ziemlich treffend antwortete Ayse Demir (Vorstandssprecherin des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg) in einem Interview in der linken Tageszeitung Junge Welt vom 07.01.2015 auf genau eine solche Frage:
»Erstens sind von prekären Arbeitsbedingungen in erster Linie auch Migranten betroffen. Zweitens: Für die schlechte wirtschaftliche und soziale Lage vieler Menschen hierzulande sind wir nicht verantwortlich. Genauso wenig wie für die Verbrechen des »Islamischen Staats« in Syrien und im Irak, wovon wir uns dauernd distanzieren müssen. Es ist doch seltsam: Entschuldigen sich etwa die Deutschen ständig bei uns für die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds?«
(Ayse Demir, Sprecherin Türkischer Bund Berlin-Brandenburg)
1 Der Begriff »Islamisierung« wurde von Neokonservativen aus den USA nach dem 11. September 2001 geprägt. Seitdem wird dieser größtenteils von der europäischen Rechten als Legitimation für rassistische Ressentiments genutzt, welche sich vor allem gegen Menschen muslimischen Glaubens richten.
2 LGBTIQ – LesbianGayBiTrans*InterQueer
3 Die Abgrenzung von PEGIDA gegenüber Gewalt ist nur vordergründig. Am 22. Dezember 2014 wurde eine 15 Jährige auf Grund ihrer Hautfarbe von PEGIDA-Demonstranten angegriffen. Am 22. Januar 2015 griff die Aufmarschspitze des LEGIDA-Aufmarsches mit Duldung der Polizei Presservertreter*innen mehrmals mit Schlägen und Steinen an.
4 Seit Ende 2012 hielten Geflüchtete den Oranienplatz im Berliner Bezirk Kreuzberg besetzt, um gegen die menschenverachtende deutsche Flüchtlingspolitik zu protestieren. Dieses Protestcamp wurde, nachdem die Geflüchteten eineinhalb Jahre ihrem Schicksal überlassen wurden, nach einer aktiven Spaltungspolitik von Senat und Bezirk im März 2014 geräumt.
5 Im sächsischen Schneeberg gelang es dortigen NPD-Funktionären im Herbst 2013 kontinuierlich 1000 bis 1500 Menschen zu Aufmärschen gegen ein Asylbewerber*innenheim zu bewegen. Die Aktion in Schneeberg war eine der ersten erfolgreichen Mobilisierungen, die unter dem Tarnbegriff »Bürgerinitiative« lief. Im Sommer desselben Jahres brach in Berlin-Hellersdorf ein Sturm völkischer Entrüstung los, nachdem bekannt wurde, dass in einer alten Schule ebenfalls eine Unterkunft eröffnen sollte. Die Anwohner*innen und Neonazis, die sich damals radikalisierten, sind noch heute aktiv gegen neu entstehende Unterkünfte für Geflüchtete in den Berliner Ost-Bezirken.
6 Maik Eminger bzw. dessen Zwillingsbruder André Eminger nahmen am 21. Januar 2014 an der LEGIDA-Demo teil. Eminger ist als Unterstützer des NSU-Trios vom Oberlandesgericht München wegen Beihilfe zum versuchten Mord und Raub, sowie wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt.
7 Als Mahnwachen für den Frieden (auch Friedensbewegung 2.0) werden Mahnwachen bezeichnet, die seit dem 17. März 2014 in zahlreichen Städten Deutschlands und Österreichs zumeist montags stattfinden. Die Veranstaltungen richten sich in erster Linie gegen die Verschärfung der Krise in der Ukraine 2014. Unter den Teilnehmer*innen dieser Veranstaltungen wie auch deren Organisator*innen befinden sich zahlreiche Rechte und Verschwörungstheoretiker*innen, u.a. Jürgen Elsässer (Kopf der rechten Zeitschrift COMPACT.)