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Siempre Antifa Frankfurt/Main: „Antifa bleibt notwendig!“

ll_2015_text_siempreUnsere Genoss*innen und Freund*innen von Siempre Antifa Frankfurt/Main haben einen eigenen Aufruf für unseren Antifa-Block: „Totgesagte leben länger!“ auf der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 2015 geschrieben, den wir hier dokumentieren.

Antifa bleibt notwendig!

Das Jahr 2014 steht für eine erneute Zäsur in der antifaschistischen Bewegung. Mehrere Gruppen, die das Bild der autonomen Antifa im vergangenen Jahrzehnt mitgeprägt hatten, zogen ein kritisches und resignierendes Resümee: so geht es nicht weiter. Die Konsequenz ist meist eine schleichende Abkehr von autonomer Praxis sowie das Aufgehen in größeren Organisierungsprozessen. Angesichts der Sprachlosigkeit der antifaschistischen Linken gegenüber neueren Entwicklungen im nationalen und internationalen Kontext erscheint uns diese Entwicklung allerdings nicht als Reorganisierung der Bewegung zur Erhöhung der Schlagkraft, sondern im Gegenteil als Eingeständnis der eigenen konzeptionellen und aktivistischen Schwäche. In der Hauptsache stehen wir als Linke vor zwei ungelösten Problemen: einerseits die Zersplitterung der Bewegung in Kleingruppen aufzuheben, andererseits unsere Basis insgesamt zu vergrößern. Bei aller Richtigkeit verbindlicherer organisatorischer Strukturen bleibt die Hoffnung in bundesweite Prozesse dort trügerischer Schein, wo eine regionale Mobilisierungsfähigkeit für unsere Inhalte ausbleibt. Der Aufbau stärkerer und sich intensiver koordinierender Strukturen, die kontinuierlich am Ausbau der eigenen Basis arbeiten, ist nur ausgehend von den Gegebenheiten vor Ort möglich. Organisationen ohne lokale materielle Verankerung hingegen bleiben ein Papiertiger. Wo sie angesichts drängender Herausforderungen schweigen, spielen sie sich mit dem Management von Großevents die Illusion eigener Stärke vor. Bundesweite Organisierung könnte das Rückgrat jeder lokalen Arbeit sein, die ihrerseits aber nicht zu ersetzen ist. Darüber hinaus erhält eine Zusammenfassung der vorhandenen Kräfte ihre Bedeutung in Arbeitsteilung und der Ermöglichung von Synergieeffekten, nicht jedoch in einem strapazierenden Mehraufwand, der einer weiteren Bürokratisierung Vorschub leisten wird. Wir können den zweiten Schritt nicht vor dem ersten gehen. Die Richtung, die uns vorschwebt, ist eine, die sich vertikal von unten nach oben organisiert und horizontal vom lokalen Raum ausgehend über regionale Vernetzung zu größeren Organisationseinheiten gelangt.

Abseits der szeneinternen Entwicklungen nehmen die Herausforderungen im krisengeschüttelten Europa für eine radikale Linke zu. Europaweit ist ein Zuwachs von reaktionären Bewegungen zu beobachten: in Griechenland die neonazistische Goldene Morgenröte, in Großbritannien, Frankreich, Italien und Skandinavien die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien, in Ungarn und der Ukraine deutliche Faschisierungsprozesse. Auch in Deutschland kommt dieser Trend an. Adäquate Antworten auf die jüngsten Wahlerfolge der rechtspopulistischen ,,Alternative für Deutschland’‘ bleiben aus, während sich bereits eine mögliche Basis für eine autoritäre Zuspitzung der herrschenden Ausgrenzungspolitik auf der Straße bemerkbar macht: unter dem Namen „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands“ (Pegida) demonstrieren seit Wochen von diffusen Überfremdungsängsten geplagte ,,besorgte Bürger’‘ zusammen mit Rechtspopulisten und organisierten Neo-Faschisten. Begleitet werden diese Kundgebungen durch eine deutliche Zunahme rassistischer und neofaschistischer Gewalt – insbesondere gegen Muslime und Flüchtlinge. Lediglich das Ausbleiben einer Komplizenschaft der Eliten mit diesen Erscheinungen verhindert derzeit weitere Pogrome wie zu Beginn der 90er Jahre in Hoyerswerda und Rostock- Lichtenhagen. Damals mordeten und brandschatzten Neofaschisten flankiert von einer üblen Pressekampagne gegen Asylbewerber, als deren Ergebnis die Regierung das Asylrecht faktisch abschaffte und damit dem Mob nachträglich applaudierte. Aktuell finden die Interessen maßgeblicher Flügel des deutschen Kapitals ihren Ausdruck in der gegenwärtigen Politik der Bundesregierung. Noch sind die Tendenzen der großen ökonomischen Krise nicht vollends in der exportabhängigen Metropole BRD angekommen. Ändert sich dies, wird eine durch Modernisierungsverlierer gespeiste reaktionäre Massenbewegung für die Eliten interessant. Mit ihr lassen sich einerseits unpopuläre Maßnahmen besser verkaufen, andererseits Wut und Angst kanalisieren und auf Feindbilder lenken – und damit neutralisieren.

Eine Diskussion der Neuausrichtung antifaschistischer Politik in ihrer lokalen und nationalen, aber auch internationalen Dimension erscheint uns angesichts dieser Szenarien dringend erforderlich, um den neueren Entwicklungen vorbereitet und wirksam entgegentreten zu können. Wer Antifaschismus als , ,Feuerwehrpolitik’‘ begreift und damit degradiert, tritt immer nur dann auf, wenn explizite Neo-Faschisten wahrnehmbar die öffentliche Arena betreten. Ein solches Politikverständnis greift nicht nur generell zu kurz, sondern hat aus den strategischen Fehlern antifaschistischer Analyse der 90er und 2000er Jahre wenig gelernt. Damals zeigte sich, dass selbst Linksradikale sich in letzter Instanz gerne auf den Staat verlassen. Spätestens wenn Neonazis sich mit Waffen und Sprengstoff versorgen, würden die Behörden eingreifen, um Schlimmeres zu verhindern, so die Annahme. Eine folgenschwere Fehleinschätzung – war doch in der offenen Zusammenarbeit einer durch Deutschland ziehenden neonazistischen Mörderbande namens NSU mit Teilen der Verfassungsschutzämter das genaue Gegenteil der Fall. So gesehen darf es auch nicht verwundern, dass dies just in einer Zeit geschah, in der die herrschende Rhetorik mit dem „Aufstand der Anständigen“ eine Art Staatsantifaschismus simulierte. Die Behörden aber sind und bleiben die Bestandswahrer der herrschenden Eigentumsordnung. Neonazis greifen diese jedoch nicht an, sondern bilden eine manifeste Gefahr für all jene, die ihr im Weg stehen oder zu den ohnehin Diskriminierten oder als nicht-nützlich Stigmatisierten gehören. Allein deshalb schon muss Antifaschismus immer antikapitalistisch sein. Er muss dies sein, um nicht im Sinne einer Schadensbegrenzung für den Standort Deutschland entradikalisiert und vereinnahmt zu werden. Er muss dies auch sein, weil der Klassenantagonismus im Kapitalismus immer für Spaltung und Ausgrenzung sorgt. Ohne die Beantwortung der sozialen Frage von links wird gegen reaktionäre Bewegungen dauerhaft wenig auszurichten sein. Dass Phänomene wie ,,Pegida’‘ und entsprechende Parteien überhaupt in dem Maße Fuß fassen können, zeugt von einem fatalen wie bürgerlichen Verständnis antifaschistischer Politik, welches das offensive Agieren und Agitieren, gerade in der Thematisierung der sozialen Frage, leider verlernt hat. Es ist als ein überaus deutliches Symptom zu werten, dass der radikalen Linken zu einem Streik wie dem der Eisenbahner, der den gesamten Schienenverkehr tagelang nahezu vollständig lahmlegte, nicht viel einfällt. Die verstärkte Konzentration von Gruppen und Bündnissen eben auf die Kernthemen linker Politik halten wir vor diesem Hintergrund für richtig, jedoch nicht unter Aufgabe, sondern in Erweiterung autonomer und antifaschistischer Praxis. Eine solche Verbindung ist überall in Europa möglich: die vielfältigen Protestformen in ihrer radikalisierten Form wie in Südeuropa und zuletzt der militante belgische Generalstreik haben diese Richtung aufgezeigt.

Antifaschismus als offensive antikapitalistische Strategie hat für uns die Aufgabe, Gemeinsamkeiten und objektive Zusammenhänge von Staatsapparaten, organisierten Neo-Faschisten, reaktionären Bewegungen und herrschenden gesellschaftlichen Interessen herauszuarbeiten und gegen die Verhältnisse in Anschlag zu bringen. Dabei ist es überaus bedeutsam, die maßgebliche Funktion autoritärer Kampagnen zu entlarven: Wut und Empörung gegen die Verhältnisse von diesen abzulenken und auf ohnehin ausgegrenzte Bevölkerungsanteile zu richten. Es kommt darauf an, eine systemüberwindende Perspektive wieder mit lokaler Arbeit in den Stadtteilen und Betrieben zu verbinden, um lokale Mobilisierungen gegen die herrschende Politik und damit für vom System nicht mehr integrierbare Forderungen herzustellen. Damit können wir Bewegungen, die den in bürgerlichen Klassengesellschaften stets vorhandenen Nährboden für rassistisches und nationalistisches Gedankengut für sich nutzen wollen, frühzeitiger und nachhaltiger bekämpfen. Gleichzeitig gilt es angesichts der zahllosen ,,Nein zum Heim!’‘-Kampagnen den Zusammenhang von imperialistischen Kriegs- und Ausbeutungsstrategien im Trikont und der repressiven und rassistischen Flüchtlingspolitik innerhalb Europas herauszustellen – auch und vor allem jenseits rein karitativer Flüchtlingshilfen. Militarisierung findet heute in Innen- und Außenpolitik gleichermaßen statt: das gilt es immer wieder offenzulegen und anzugreifen. Antifaschismus im Jahr 2015 ist nicht zuletzt vor allem antirassistische Arbeit. Die inhaltliche und organisatorische Zusammenlegung der unverständlicherweise getrennt agierenden Bewegungen Antifa und Antira erscheint hier dringend notwendig. Der Anfang des Jahres 2015 steht für uns vor allem für die Herausforderung, Konzepte gegen die derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen zu erarbeiten und umzusetzen.

Siempre Antifa Frankfurt/Main

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