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Junge Welt: »Kompromisslose Haltung«

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Nach der Selbstauflösung namhafter Gruppen fordern Göttinger Aktivisten dazu auf, den »Gesamtansatz der Antifa« weiterzudenken

Seit mehreren Monaten debattieren antifaschistische Gruppen in der Bundesrepublik über den Stand und die Zukunft ihrer Bewegung und über neue Strategien. Ein Kongress unter dem Motto »Antifa in der Krise« im April 2014 konnte wohl keine befriedigenden Antworten liefern. Drei bedeutende Antifagruppen aus dem autonomen Spektrum haben sich seither aufgelöst: die Autonome Antifa f aus Frankfurt am Main im Juli, die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) einen Monat später und die Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin im Oktober. Die Mehrheit der Aktiven aus den drei Zusammenschlüssen hat ihre politische Tätigkeit allerdings nicht eingestellt. Die Frankfurter Antifaschisten firmieren seither unter dem Namen »Kritik und Praxis«, während Aktive aus den beiden Berliner Gruppen sich bundesweiten Bündnissen angeschlossen haben.

Besonders die Selbstauflösung der ALB sorgte für Aufmerksamkeit, da sie seit ihrer Gründung die Antifabewegung geprägt hatte. Nach Auffassung von Simon Teune, Protestforscher an der TU Berlin, hat die ALB auch jenseits der klassischen Antifaarbeit »eine wichtige Rolle in vielen großen Mobilisierungen der vergangenen Jahre gespielt, wie zum Beispiel gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm oder bei den Blockupy-Protesten«. Dem Freitag sagte Teune, besonders seit den G-8-Protesten im Jahr 2007 habe sich die Antifa »gegenüber etablierteren Akteuren« wie der Linkspartei, Kirchen, Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen geöffnet. Das sei Voraussetzung für die Zusammenarbeit bei den Großaktionen gegen die Neonaziaufmärsche in Dresden oder für Blockupy gewesen. Intern habe es jedoch zu Spannungen geführt, »weil es schwierig ist, sich einerseits an Bündnissen zu orientieren, sich andererseits aber die militante Option offenzuhalten«, so Teune.

Als im Sommer die ALB ihre letzten Sitzungen abhielt, gab es noch keine Aufmärsche der »Patriontischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (PEGIDA). In der Selbstauflösungserklärung der ALB hieß es aber: »Der Rassismus der Mitte, der europaweite Erfolg rechter und rechtspopulistischer Parteien (…) und auch der Sozialchauvinismus in weiten Teilen der Bevölkerung bedürfen neuer Ansätze und Antworten durch die antifaschistische Bewegung.« Traditionelle Konzepte und Parolen wie »Antifa heißt Angriff« seien vor diesem Hintergrund »eher als Stillstand und Phrasendrescherei zu werten«.

Ein halbes Jahr später und um die Erfahrungen der Krawalle beim Hooliganaufmarsch in Köln und den zuletzt mehr als 17.000 PEGIDA-Demonstranten in Dresden reicher, hat sich nun erneut eine Antifagruppe zu Wort gemeldet. Die Antifaschistische Linke International (A.L.I.) aus Göttingen legt in einem Positionspapier dar, warum antifaschistische Arbeit »kein Konzept aus der Vergangenheit« sei.

Eine Sprecherin von A.L.I. sagte gegenüber junge Welt, auch nach zehnjähriger Gruppengeschichte sei es mit Blick auf die »Hooligans gegen Salafisten«, PEGIDA sowie das Erstarken rechter und neofaschistischer Kräfte in Griechenland, Ungarn, Frankreich, Belgien und anderen europäischen Staaten »unfassbar, dem Antifaansatz seine Aktualität abzusprechen«.

In dem Positionspapier schreiben die A.L.I.-Aktivisten: »Es ist an uns, Antifa als starken antagonistischen Ansatz dem Staat und den Herrschaftsverhältnissen gegenüber weiterzudenken und nicht aus Ratlosigkeit über die eigene Politik in lokal kleinteiligen oder in bundesweiten Organisierungsansätzen (…) aufzugehen.« Die Göttinger Gruppe ging aus der bekannten Autonomen Antifa (M) hervor, die vor allem Anfang der 1990er Jahre die Bewegung geprägt hatte.

Eine einschneidende Veränderung steht ihr in den nächsten Jahren bevor: Zeitzeugen des deutschen Faschismus und antifaschistische Widerstandskämpfer seien Vorbilder und »moralische Instanzen, um beispielsweise gegen Neonaziaufmärsche zu mobilisieren«, heißt es in der A.L.I.-Erklärung. Durch den Wegfall dieser historischen Tiefe ändere sich auch die antifaschistische Politisierung. Der »Gesamtansatz der Antifa« begreife aber »die aktuellen Bedrohungen durch imperialistische Regierungspolitiken sowie durch Neonazis« vor dem Hintergrund des historischen Antifaschismus. Dies erlaube es, »Gegner auf den verschiedensten gesellschaftlichen und thematischen Ebenen zu identifizieren, fundiert zu analysieren und eigenverantwortlich anzugreifen«. Der Antifaansatz legitimiere sich »auf Grund seiner grundsätzlich widerständigen und antagonistischen, kompromisslosen Haltung«. Nicht zuletzt das Beispiel des rechten Terrornetzwerks NSU und die Rolle des Verfassungsschutzes beim Aufbau rechter Strukturen hätten gezeigt, wie eng Staat und Neonazis verwoben seien.

Mit Verweis auf kurdische Freiheitsbestrebungen fordern die Göttinger, Antifaarbeit müsse internationalistisch bleiben und »im Bewusstsein der (deutschen) Geschichte eine eindeutige Antikriegshaltung einnehmen«.

Vollständige Erklärung unter: www.ali.antifa.de

Quelle: www.jungewelt.de/2014/12-24/026.php

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