8./9. Mai 2021 – Pankow-Nord im Zeichen der Befreiung
Der Pankower Norden stand am 8. und 9. Mai 2021 ganz im Zeichen der Befreiung. Am 8. Mai fand das jährliche Gedenken am Sowjetischen Ehrenmal in Buch statt. Einen Tag später startete ein antifaschistischer Fahrradkorso am Sowjetischen Ehrenmal Schönholzer Heide in Niederschönhausen. Beide Tage waren gut besucht, mit vielen politischen und kulturellen Beiträgen versehen und verliefen ohne Störung. In Pankow wurde deutlich gemacht, dass diese historischen Daten als Tag der Befreiung bzw. Tag des Sieges gefeiert gehören, aber auch immer als aktuelle Mahnung vor Faschismus und Krieg zu begreifen sind. Im Folgenden möchten wir die Ereignisse beider Tage in einem Bericht zusammenfassen, Fotos von den Aktionen veröffentlichen und den an beiden Tagen verlesenden Redebeitrag dokumentieren.
Berichte:
– 200 Menschen am 8. Mai in Pankow-Buch. Rede von Kurt Hillmann (VVN-BdA Pankow)
– Stilles Gedenken am Tag der Befreiung (DIE LINKE. Pankow)
Pressemitteilung:
– Berliner Antifa-Bündnis dankt am 8. Mai in Pankow-Buch den Befreier*innen (VVN-BdA Pankow)
Ankündigung: 8. Mai – Pankow-Buch: Ganztägiges Gedenken an die Befreiung
Der 8. Mai in Pankow-Buch: Würdiges Gedenken im (ehemaligen) „Nazi-Kiez“
Das Gedenken am 8. Mai am Sowjetischen Ehrenmal in Pankow-Buch wird bereits seit vielen Jahren von einem kontinuierlich arbeitenden antifaschistischen Bündnis organisiert. Das Bündnis, ursprünglich bestehend aus DIE LINKE. Pankow, den North-East Antifascists [NEA], der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschist*innen (VVN-BdA) Pankow und der Kommission für Bürgerarbeit Pankow, wurde dieses Jahr vom Sportverein Roter Stern Berlin, der Pankower Aktivistischen Organisation (PAO) und den Pankower Frauen* gegen Rechts in den Vorbereitungen und der inhaltlichen und praktischen Ausgestaltung unterstützt. Das Gedenken fand wieder ganztägig statt, mit einer Kundgebung am Nachmittag. Die Veranstaltung so auszurichten, hat auch konkrete Ursachen, die in der Geschichte des Gedenkens begründet sind.
Die lange braune Geschichte von Pankow-Buch
Schon während der Zeit des deutschen Faschismus war das Krankenhaus Buch indirekt an der Aktion T4, der gezielten Ermordung als nicht-lebenswert markierter Menschen, beteiligt. Dies wurde vor allem von der leider kürzlich verstorbenen Rosemarie Pumb in ihrem Buch „Ein Ort schweigt“ aufgearbeitet. Im Jahr 2000 wurde Dieter Eich von vier Neonazis aus sozialchauvinistischen Motiven ermordet, da er erwerbslos war. Die Initiative „Niemand ist vergessen“ hält seit über zehn Jahren das Gedenken an ihn lebendig. Zu den Erfolgen zählt, dass er seit 2018 nun auch „offiziell“ als Opfer rechter Gewalt anerkannt ist und dass der Gedenkstein wahrscheinlich dieses Jahr realisiert werden kann.
Neben diesen gedenkpolitischen Themen haben auch aktuelle Ereignisse Buch zu einem Kiez gemacht, der antifaschistische Interventionen nötig hat. Bis vor ca. einem Jahr war Buch Aktionsschwerpunktgebiet eines der letzten verbleibenden und aktiven Kreisverbände der NPD, dem KV8. Mit dem Zuzug von Christian Schmidt ca. im Jahr 2013, wurde der bis dahin eingeschlafene und zuvor vor allem in Niederschönhausen, Pankow und Heinersdorf aktive Kreisverband reaktiviert. Dazu wurden vor allem rechte Jugendcliquen im Kiez organisiert, die bis dato mit eher stümperhafter, selbstgebastelter Propaganda aufgefallen sind. Was folgte, war eine Intensivierung von Sticker- und Sprühaktionen. Aber auch Übergriffe auf nicht-weiße Menschen, Migrant*innen, Linke und Parlamentarier*innen kamen vor. Im Jahr 2014 wurde eine Sammelunterkunft für Geflüchtete in Buch eröffnet. Hierbei schaffte es die Pankower NPD, kurzzeitig rassistische Demonstrationen mit bis zu 200 Teilnehmer*innen zu organisieren. Dies geschah im Rahmen einer Berlin- und bundesweiten Welle an rassistischen Mobilisierungen. 2016 wurde ein Brandanschlag auf die Sammelunterkunft verübt.
Das Gedenken in Buch – Den Nazis immer ein Dorn im Auge
Es wurde bereits deutlich: In Pankow-Buch ist das Gedenken genau an der richtigen Stelle. Für uns bedeutet Erinnerungspolitik auch immer die Verknüpfung mit aktuellen Themen und einen klaren antifaschistischen Auftrag für heute. Das heißt auch, genau dort ein kämpferisches Gedenken durchführen, wo die Nazis sind und rechter Terror verbreitet wird. Seitdem das Gedenken in einem größeren Rahmen organisiert wird, ist es Provokationen und Angriffen von Neonazis aufgesetzt. Über mehrere Jahre wurden, zumeist in den Nächten davor, Farbanschläge auf das Mahnmal verübt. In den Jahren 2016 und 2018 überließ gar die Polizei den Neonazis von der NPD den Vorplatz des Sowjetischen Ehrenmals für eine eigene geschichtsrevisionistische Kundgebung. Dazu kamen immer wieder Schikanen der Polizei gegenüber Antifaschist*innen und der absolute Unwille, die Neonazis von Provokationen abzuhalten. Selbst in den Jahren, in denen wir unser Gedenken vor dem Ehrenmal abhalten konnten, waren Gegenkundgebungen der NPD in direkter Nähe gestattet, während antifaschistischen Gegenkundgebungen immer auf weiten Abstand gehalten wurden, um den Nazis den Tag so angenehm wie möglich zu machen. Wir haben uns jedoch niemals von unserem Engagement abhalten lassen und uns selbst Aktionen einfallen lassen, wie die Besetzung des Denkmals im Jahr 2018. Sowohl Nazis, als auch die Behörden haben dabei ein würdiges Gedenken zwar immer wieder erschwert. Doch dieses Durchhaltevermögen für einen der wichtigsten Tage des Jahres, ein Tag der erst dafür gesorgt hat, dass wir heute überhaupt in dieser Form wieder für ihn eintreten können, hat sich ausgezahlt. Von Jahr zu Jahr wurde das Gedenken breiter und inhaltlicher und in der kulturellen Ausgestaltung vielfältiger. Wesentliche Störungen gab es seit 2019 nicht mehr. Für weitere und detaillierte Berichte möchten wir auf unsere Veröffentlichungen aus den Jahren 2016, 2017, 2018, 2019 & 2020 verweisen.
2021 – Gedenken in Pandemiezeiten
Bereits im letzten Jahr konnten wir Erfahrungen sammeln, eine Gedenkveranstaltung in der Pandemie für alle Teilnehmer*innen sicher zu gestalten. Dies lies sich auch dieses Jahr umsetzen. Bereits vom 10:00 Uhr begann das stille Gedenken mit einem Infotisch und wurde den Tag über fortgesetzt. Dies hatte, wie schon die Jahre zuvor, den Grund, den Nazis keinen Platz für eventuelle eigenen Aktionen zu lassen, aber auch Raum für ein individuelles Gedenken an die Befreiung zu schaffen. In dieser Zeit wurden Blumen und Kränze abgelegt, bis zur Kundgebung folgten außerdem verteilt Redebeiträge von Sören Benn, Elke Breitenbach und Udo Wolf (DIE LINKE.). Um 15.00 Uhr begann die Gedenkkundgebung vor dem Ehrenmal. Zu Beginn sprach der Holocaust-Überlebende und VVN-BdA-Mitglied Kurt Hillmann. Weitere Redebeiträge hielten die North-East Antifascists [NEA], der Rote Stern Berlin, die Pankower Aktivistische Organisation (PAO), der Kampagne Frauen* im Widerstand und die Pankower Frauen* gegen Rechts. Am Mahnmal wurden Blumen und Kränze von den beteiligten und unterstützenden Organisationen abgelegt. Für die musikalische Begleitung der Veranstaltung gab es einen kleinen Auftritt von Kara. Während der gesamten Veranstaltung kam es zu keinen nennenswerten Störungen. Zwar hatten die Nazis vom Vorfeld auf Twitter angekündigt, eigene Aktionen durchzuführen und auch Gedenkveranstaltungen zu stören, nur um kurz danach dann doch lieber vor unserem Gedenken zu „warnen“. Am Ende blieb es bei vereinzelten Nazi-Aufklebern in Buch (u.a. am Bahnhof) mit Bezug auf den 8. Mai und ein paar Plakaten der Jugendorganisation der NPD, der Junge Nationalisten (JN), gegenüber vom Schlosspark. Letztgenannte Organisation ist eine quasi in Personalunion mit der Pankower NPD. Besonders erfreulich in diesem Jahr war zudem, dass die Blumen und Kränze am Ehrenmal über eine Woche liegen blieben. In den Jahren zurvor waren diese oft im Anschluss von den lokalen Nazis zerstört oder entwendet worden.
Pankow-Buch muss weiter im Fokus bleiben
Das eine kontinuierliche antifaschistische Arbeit im Stadtteil bewirken kann, hat die Entwicklung und Etablierung des Gedenkens in Pankow-Buch deutlich gemacht. Auch wenn die Pankower NPD/JN aktuell recht inaktiv ist und die Aktivitäten sich in Buch im Verhältnis in Grenzen halten, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass Alltagsrassismus in hier weiterhin allgegenwärtig ist und eine aktiven Antifaschismus weiterhin absolut unentbehrlich macht. Auch die AfD, welche sich gern als „Stimme“ der Deklassierten, trotz gegenteiligem Wahlprogramm, hat im Osten des Stadtteils zwischen 21 und 23% bei der letzen EU-Wahl im Jahr 2019 eingefahren. Dieses Jahr finden sowohl die Wahlen für das Berliner Abgeordnetenhaus als auch die Bundestagswahl statt. Hier wird die AfD versuchen anzusetzen und auch im öffentlichen Raum präsent sein.
Lasst uns an diese Erfolge aber auch Aufgaben anknüpfen. Wir werden nächstes Jahr wieder in Buch sein und für ein aktives Gedenken eintreten.
Der 9. Mai in Pankow-Niederschönhausen: Fahrradkorso aus Pankow in den Treptower Park zum Tag des Sieges
Der 9. Mai, der Tag des Sieges, wird normalerweise im Treptower Park am Sowjetischen Ehrenmal mit einem Fest und vielen musikalischen Beiträgen würdig gefeiert. Da so ein Fest in Zeiten der Pandemie weder vernünftig, noch von den Behörden genehmigt worden wäre, hat sich die Basisorganisation (BO) 8. Mai der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVN-BdA) dazu entschlossen, dieses Jahr einen antifaschistischen Fahrradkorso zu veranstalten. Dieser startete am Sowjetischen Ehrenmal Schönholzer Heide in Pankow-Niederschönhausen. Der Stadtteil war bis zum Ende der 00er Jahre ein Schwerpunkt der Pankower NPD und auch in jüngster Vergangenheit kam es wieder vermehrt zu rechten Aufklebern, Schmierereien und Übergriffen. Das Ehrenmal selbst ist auch zugleich Friedhof für 13.200 Rotarmist*innen, die in der Schlacht um Berlin für die Befreiung gefallen sind. Neben dem Mahnmal im Treptower Park und im Tiergarten gehört es zu den größten Ehrenmalen in Berlin. Zum Auftakt um 12:00 Uhr gab es Redebeiträge zur Geschichte des Parks und Musik vom Trio Scho. Die Route führte u.a. am Rathaus Wedding und dem Sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten vorbei, wo es Zwischenkundgebungen gab und endete im Treptower Park mit Musik von Cosmonautix. Bei der Auftaktkundgebung beteiligten wir uns mit dem Mobi-Transpi für die Kampagne Frauen* im Widerstand und einem Redebeitrag während der Tour.
Wir danken allen beteiligten Gruppen und Organisationen für diese beiden gelungenen Tage.
Am 8. und 9. Mai schien der Rote Stern über Pankow.
Erinnern heißt Kämpfen!
Siempre Antifascista!
North-East Antifascists [NEA] – Juni 2021
www.antifa-nordost.org
Fotos:
Fotos 8. Mai 2021 in Pankow-Buch:
Fotos 9. Mai 2021 in Pankow-Niederschönhausen:
Weitere Fotos:
Fotos von Oskar Schwartz:
Quelle: www.imgur.com/a/uSFAkWR
Fotos von DIE LINKE. Pankow:
Quelle: www.die-linke-pankow.de/politik/aktionen/tag-der-befreiung-2021/
Fotos von VVN-BdA Pankow:
Quelle: pankow.vvn-bda.de/2021/05/200-menschen-am-8-mai-in-pankow-buch/
Wer nicht feiert, hat verloren! Der 9. Mai 2021 in Berlin
Der 8. und 9. Mai sind wichtige Tage antifaschistischer Erinnerungspolitik. Als Tag der Befreiung und als Tag des Sieges markieren sie die militärische Niederschlagung des Hitlerfaschismus. Aber sie dienen auch zu Erinnerung, dass eben noch nicht alle antisemitischen, rassistischen und faschistischen Strukturen und Denkmuster überwunden wurden. Die Berliner VVN-BdA hat anlässlich des 9. Mai 2021 mit einem antifaschistischen Fahrradkorso auf eben jene Kontinuitäten hingewiesen. Die Tour führte dabei vom sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Schönholz über das Mahnmal im Tiergarten nach Treptow.
Mehr Infos findet ihr unter: neuntermai.vvn-bda.de und auf berlin.vvn-bda.de
Link: www.youtube.com/watch?v=lW5ROzz-Kew
Redebeitrag der North-East Antifascists [NEA]:
Der Redebeitrag wurde am 8. Mai 2021 in Pankow-Buch und am 9. Mai 2021 in Pankow-Niederschönhausen verlesen.
Der 8./9. Mai ist nicht nur ein Tag des Gedenkens, sondern auch der Mahnung. Es ist zwar nicht die Schuld der Nachkriegsgenerationen, dass die Nationalsozialisten an die Macht kommen sind und ihre Verbrechen begehen konnten, wohl aber ist es unsere Verantwortung, dass sich derlei nicht wiederholt. Das heißt, nicht nur Nazis und Faschist*innen mit geschlossenem Weltbild entgegenzutreten, sondern auch ihren Ideologien wie Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Eugenik, Militarisierung oder männlichem Chauvinismus. Auch Antikommunismus und die Zerschlagung der historischen Arbeiter*innenbewegung darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Diesen Ideologien und Zielen entgegenzutreten, ist unser Auftrag für die Gegenwart und die Zukunft. Das gilt auch dann, wenn sie von etablierten Politiker*innen vertreten oder als Argument für die Verfolgung ihrer Interessen benutzt werden. Das gilt ebenso, wenn sie uns im Alltag begegnet, bei Menschen, die uns auf der Straße begegenen oder die wir persönlich kennen. Das ist leichter gesagt als getan, wie wir an dem momentanen gesellschaftlichen Rechtsruck sehen können und über richtige Strategien und Bündnisse lässt sich streiten. Aber zumindest die grobe Bedeutung dessen, was wir meinen, wenn wir „Nie wieder Faschismus sagen!“, sollte eigentlich klar sein.
Umso mehr irritiert es, wenn Bewegungen, die in bedeutenden Teilen oben genannte Ideologien aufweisen, bei denen rechtsoffene Organisator*innen, offene Nazis und Reichsbürger auf der Straße zusammenkommen, plötzlich scheinbar auch vor einem „neuen Faschismus“ warnen und sich mit den Verfolgten des „Dritten Reichs“ vergleichen. Die Rede ist ist letzter Zeit vor allem von Coronaleugner*innen-Demonstrationen wie „Querdenken“ & co, die kein damit Problem haben, mit echten Faschist*innen auf die Straße zu gehen. Gleichzeitig wird damit aber nicht einfach offen umgegangen, würde das doch dem Narrativ der „Freiheitskämpfer*innen“ widersprechen. Stattdessen wird das – zum Glück existierende – Stigma der Faschist*innen einfach zurückgeworfen, auf den Staat und auf Linke, die rechtsoffene bis faschistische Aufmärsche nicht unwidersprochen lassen. Selbst inszeniert man sich als Opfer, in einer Weise, die widerlicher kaum sein könnte. Da stellt sich eine „Jana aus Kassel“ im November 2020 in Hannover auf die Bühne und vergleicht sich mit Sophie Scholl, da sie „seit Monaten aktiv im Widerstand“ sei. Dass dieser Widerstand darin besteht, auf angemeldeten Demonstrationen gegen einige Einschränkungen im Rahmen einer Pandemie zu sprechen, während Sophie Scholl für das Verteilen von Flugblättern hingerichtet wurde, von einem Regime, das gerade dabei war, den Holocaust zu begehen, ist nicht nur Geschichtsrevisionismus, sondern auch eine Verhöhnung der realen Opfer des Naziregimes. Doch „Jana aus Kassel“ ist nicht allein. So wurde im ebenfalls im November 2020 bei einer „Querdenken“-Demonstration in Kahlsruhe ein 11-jähriges Mädchen von ihren Eltern auf die Bühne gehievt, um sich mit Anne Frank zu vergleichen, weil sie bei ihrer Geburtstagsfeier aufpassen musste, nicht bei der Umgehung von Kontaktbeschränkungen erwischt zu werden. Von einem Ermittlungsverfahren wurde Abstand genommen. Auch fallen immer wieder Menschen auf diesen Demonstrationen auf, die gelbe Sterne mit der Aufschrift „Impfjude“ oder „Ungeimpft“ tragen.
Wie ist das einzuordnen? Zunächst sollte nicht der Fehler begangen werden, diese Äußerungen nur als Strategie der Entlastung misszuverstehen. Die Relativierung der realen Verbrechen der Faschist*innen eröffnet zugleich denen den Raum, die ihre Ziele noch immer teilen. Das betrifft im Fall der Coronaleugner*innen-Bewegung vor allem den Antisemitismus, der in Verschwörungstheorien etwa über die Tötung des deutschen Volkes durch giftige Impfstoffe virulent ist. Offen oder verschlüsselt werden hier oft Juden verantwortlich gemacht – eine Argumentation, die eher verfängt, wenn man sich auf die selbe Stufe mit deren historischer Verfolgung stellt. Diese Strategie ist allerdings nicht neu oder eine Erfindung der „Querdenker“, sondern ein alter Hut auch in der Naziszene. Dass Antifaschis*innen als „SAntifa“ und „rotlackierte Faschisten“ bezeichnet werden und die Opferrolle exklusiv für sich und „das deutsche Volk“ in Anspruch genommen wird, konnte man schon in den letzten Jahrzehnten in vielen Publikationen lesen.
Andererseits hat diese Argumentation aber auch erst durch eine Verwässerung des Faschismus-Begriffs, der über die genannten rechten Kreise hinausgeht, überhaupt eine Chance, zu verfangen. Diese Verwässerung hat einen längeren geschichtlichen Vorlauf. Bereits in den seit den 20ern existierenden Totalitarismus-Theorien wurden Faschismus und Sozialismus anhand äußerlicher Merkmale der Verfasstheit von Staaten auf eine Stufe gestellt und von dem Inhalt ihrer Handlungen abstrahiert. Die heute weit verbreitete Extremismus-Theorie, wie sie der Verfassungsschutz benutzt, ist die Anwendung dieser Theorien auf Bewegungen, die nicht an der Macht sind. Da ist es kein weiter Weg zu einem Faschismus-Verständnis, das Faschismus als „irgendwie autoritär und intolerant“ begreift und davon absieht, dass der Faschismus ganz konkrete Ziele und Opfer im Blick hat, die so unsichtbar gemacht werden. Es ist eben nicht dasselbe, wenn Unterkünfte für Geflüchtete angezündet und die Abschiebung ihrer Bewohner*innen gefordert wird und wenn Antifaschist*innen dafür sorgen, dass jene, die dies propagieren und den Täter*innen durch ihre Reden ein Motiv liefern, keine Räume für ihre Versammlungen mehr bekommen. Auch sind weiße Deutsche als solche keine verfolgte Gruppe, sondern die Mehrheitsgesellschaft in einem imperialistischen Land. Diese eigentlich trivialen Tatsachen müssen wir leider immer wieder hervorheben, wenn wir davon reden, was es heißt, Antifaschist*in zu sein.
Deshalb ist es umso wichtiger, heute nicht nur den Befreier*innen zu gedenken, sondern auch all jenen Opfergruppen, die der tödlichen Ideologie der Faschist*innen zum Opfer gefallen sind. Und wir müssen dafür Sorge tragen, dass ihre weitergehende strukturelle Diskriminierung und tätliche Angriffe nicht unwidersprochen bleiben. Das ist nicht in einem paternalistischen Sinne zu verstehen, wie „wir helfen den armen Opfern“. Vielmehr müssen wir all jene, die von Rassimus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie und Queerfeindlichkeit, Behindertenfeindlichkeit (Ableismus) oder dem Hass auf Erwerbs- und Obdachlosigkeit betroffen sind, in unsere Kämpfe mit aufnehmen, gemeinsam eine Kultur der Solidarität entwickeln und Betroffenheitshierarchien vermeiden. Erst, wenn wir uns nicht mehr auf solcher Basis spalten lassen, sondern auf Basis gegenseitiger Solidarität zusammen kämpfen, können wir auch reale Spaltungslinien in den Blick nehmen, von denen „Querdenken“ & Co nichts wissen wollen: die Spaltung anhand von Klasse, die auf Ausbeutung der Lohnabhängigen basiert und die Schere zwischen Arm und Reich auch in Deutschland ständig größer werden lässt. Und die Spaltung zwischen reichen imperialistischen Ländern wie Deutschland und abhängigen Ländern in der EU oder dem globalen Süden, wo Menschen unter Kriegen leiden, die mit deutschen Waffen geführt werden und hungern müssen, obwohl die Produktionskapazitäten für alle reichen würden.
In diesem Sinne: Nie wieder Krieg, Nie wieder Faschismus! Und: Für ein besseres Morgen!